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Erziehungsgeheimnisse indigener Völker

In Afrika sagt man: „Es bedarf nur zweier Menschen, um ein Kind zu zeugen – aber eines ganzen Stamms, um es zu erziehen.“ Was würden Eltern manchmal für einen ganzen Stamm als Rückenstärkung geben, wenn Kinder Machtkämpfe austragen wollen! Erziehung ist anstrengend, und trotzdem können indigene Völker ganz ungezwungen mit Kindern kommunizieren. Können wir das bei uns auch lernen?

Wie bleibt man entspannt, wenn Kinder einfach tun, was sie wollen? Wie reagieren Eltern am besten, wenn es wieder mal an allen Ecken und Enden brennt und die ganze Familie gereizt ist? In der modernen Erziehung schwanken wir permanent zwischen „machen lassen“ und „ohne Druck geht es nicht“. Holen wir uns Anregungen dort, wo die Menschen noch natürlich mit Kindern kommunizieren und auf entspannte Kooperation bauen!

Erziehung in Industrieländern vs Ethno-kulturelle Erziehung

Wie viele Regalmeter füllen Erziehungsratgeber in den Buchhandlungen? Es sind jedenfalls viele. Und obwohl viele sehr intelligente Menschen an diesen Ratgebern geschrieben haben und immer noch ständig neue Forschungsergebnisse, Tipps, Tricks und psychologische Erkenntnisse dazu kommen, bleibt die Lektüre unbefriedigend. Man geht in der Familie von einer bipolaren Situation aus und stellt die Kinder den Eltern gegenüber. Warum eigentlich?

Schauen wir auf indigene Völker, lernen wir: Erwachsene und Kinder stehen sich sehr nahe. Die Kinder teilen das Leben der Erwachsenen und sind überall mit dabei. Im Heranwachsen erfahren sie somit alles, was sie brauchen um ihr Leben selbstständig und verantwortungsvoll zu führen.

Die Gemeinschaft funktioniert über Kooperation, nicht Konfrontation. In den Familien herrschen entspannte Beziehungen, weil Eltern und Kinder miteinander statt gegeneinander arbeiten. Die warmherzige Aufforderung, im Haushalt mitzuarbeiten, gibt es von Anfang an. Jeder und jede tut altersentsprechend das, was er oder sie kann. Damit müssen Dienste nicht eingefordert werden, sondern alle tragen gemeinsam die Verantwortung für ein gelungenes Miteinander.

Auch wenn etwas schief geht, ist das kein Drama und vor allem kein Grund zum Schimpfen: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Selbstverständlich wachsen Kinder in ihre Aufgaben hinein und entwickeln sich mit Zeit und Geduld ganz von alleine. In einem solchen Umfeld lernen junge Menschen, ihre Umgebung zu beachten. Sie erkennen von ganz alleine, was getan werden muss und wo gerade Anpacken erforderlich ist. Sie begreifen sich als Team und wollen als Teil dieser Gemeinschaft aufwachsen. Das ist es, was wir als bindungsorientiertes Aufwachsen bezeichnen.

Freiheiten statt Pflichten

In einem solchen Umfeld braucht es keine autoritären Verbote, keine Pflichten. Erwachsene tragen zwar die Verantwortung und führen, stützen bei Bedarf. Aber der Umgang miteinander ist von Respekt getragen und findet auf Augenhöhe statt. Irgendwann müssen wir in Europa verlernt haben, so miteinander umzugehen. Wir haben verlernt, mit großen und kleinen Menschen gleichermaßen auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Vielleicht ist der Fehler im System zu sehen. Die Bedeutung, die Kinder in unserer Gesellschaft für uns haben, hat sich nicht wesentlich verändert, nur die Art, wie die Gesellschaft mit Kindern umgeht, hat sich weitgehend gewandelt.

Erwachsene folgen ihren Routinen und sind zwischen Beruf, Haushalt, dem zunehmend geforderten Sozialleben und den Kindern stark eingespannt. Natürlich wollen wir allen gerecht werden und alles schaffen. Der Zwang zur Selbstoptimierung ist ebenfalls gesellschaftlich gegeben. Da ist es oft leichter, Kinder wegzuschicken: Man ist schneller und gründlicher, wenn man es selber macht. Aber Achtung: Ab einem Alter von sechs Jahren etwa bieten Kinder ihre Hilfe nicht mehr an.

Im Alltag leben die meisten Kinder ohnehin in ihrer eigenen Welt. Sie sind in Kindergarten und Schule, ab dem Nachmittag zu Hause in ihren Hobbys eingespannt. Sport und Musikunterricht, Computerspiele und die eigenen Kinderwelten in Büchern, sozialen Medien und Kinderzimmern separieren sie von den Erwachsenen. Bei den Erwachsenen geht es darum, einen guten Job zu haben und sich immer weiter zu optimieren.

Gemeinschaft statt Individualismus

Während in Europa das Individuum im Mittelpunkt steht, legt man in anderen Kulturen den Fokus auf die Familie und die Gemeinschaft. Das Wohl aller steht vor dem individuellen Wohl, und das wird auch so gelebt. Die Folge ist eine tiefe Verbundenheit zu Familie und Natur, zum gesamten Umfeld mit Tieren, Pflanzen und Erde.

Auch in Europa können wir wieder dahin kommen. Es ist nie zu spät, Neues zu lernen – und das gilt auch für den Umgang in der Familie miteinander, für den Aufbau von Beziehungen. Wer sukzessive das Miteinander wieder in den Fokus rückt und vielleicht das nächste Mal das Badezimmer gemeinsam putzt oder das Mittagessen mit den Kindern statt mit Freunden (oder beiden) kocht, bringt ein Stück der natürlichen, wertschätzenden Kommunikation zurück in die Familie.

Feiertage und Ferien gemeinsam genießen – und umdenken

Eigentlich sind die anstehenden Weihnachtsferien eine hervorragende Gelegenheit, zurück in die Familie, in die Gemeinschaft zu finden und Erziehung zu überdenken. Das gemeinsame Basteln für Weihnachten, Plätzchenbacken und dekorieren in der Weihnachtszeit ist so etwas wie der letzte Rest unserer ehemals auch auf die Gemeinschaft ausgerichteten Lebensform. Schauen wir wieder zu den indigenen Völkern und lernen neu, mit Kindern zu kommunizieren. Davon profitieren alle.