Friedens- und sicherheitspolitische Bildung an Schulen
Erich Kästner schrieb vor fast 100 Jahren einst in seinem Gedicht “Jahrgang 1899”:
“Dann holte man uns zum Militär,
bloß so als Kanonenfutter.
In der Schule wurden die Bänke leer,
zu Hause weinte die Mutter.”
Kästner schrieb dieses Gedicht als Mahnung und als Erinnerung an jene, die im Ersten Weltkrieg kämpften, ohne Einfluss auf dessen Ausbruch zu haben.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die jüngsten Kämpfe in Israel und Palästina haben die Sicherheitslage in Europa nachhaltig verändert und das sicherheitspolitische Themen wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Integration geflüchteter Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine in deutsche Schulen verdeutlicht, dass Fragen von Frieden und Sicherheitspolitik spätestens seit dem 24. Februar 2022 auch in den Klassenzimmern in Deutschland präsent sind. Deutschland soll „kriegstüchtig“ und „wehrhaft“ werden – doch der Bundeswehr mangelt es nicht nur an Nachwuchs. Es fehlt auch weitgehend an systematischen Informationen über den Stand der Friedens- und sicherheitspolitischen Bildung an Schulen.
Friedensbildung und Sicherheitspolitische Bildung
Sicherheitspolitische Bildung war bisher kein oder zumindest kein bedeutender Bestandteil des schulischen Lehrplans. Seit den 80er-Jahren spielt sie auch in der Erziehungswissenschaft keine zentrale Rolle und verfügt in den einschlägigen Fachgesellschaften über kein eigenes Ressort. Während sicherheitspolitische Bildung hauptsächlich von der Bundeswehr vermittelt wird, ist die Friedensbildung auf eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure verteilt, darunter kirchliche Träger, politische Stiftungen und staatliche Institutionen. Ein entscheidender Unterschied liegt in der Zuständigkeit: Die Sicherheitspolitische Bildung fällt unter das Verteidigungsministerium, während die Friedensbildung auf Länderebene den Kultusministerien untergeordnet ist.
Welche Inhalte Schülerinnen und Schüler zu Friedensbildung und Sicherheitspolititscher Bildung vermittelt bekommen, hängt häufig vom Engagement einzelner Personen und Institutionen ab. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung bildet die Grundlage, das Mittel und das Ziel. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Rolle der Bundeswehr als Parlamentsarmee: Sie dient dem Staat, indem sie die Entscheidungen der Regierung ausführt, jedoch keine eigenen trifft. Auf dieser Basis lässt sich die Friedens- und sicherheitspolitische Bildung fundiert begründen, und dieses Wissen sollte allen Schülerinnen und Schülern in Deutschland vermittelt werden.
Einsatzort Klassenzimmer: Die Bundeswehr in Schulen
Im Jahr 1958 entsandte der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, Adolf Heusinger, erstmals Jugendoffiziere in Schulen, um der Bevölkerung die Notwendigkeit des NATO-Beitritts und die damit verbundene Wiederbewaffnung näherzubringen.
Aktuell haben die Kultusminister von fünf Bundesländern Vereinbarungen mit der Bundeswehr getroffen, die diese als offiziellen Bildungspartner etablieren. Dies umfasst Vorträge von Jugendoffizieren, Lehrerfortbildungen zu sicherheitspolitischen Themen sowie Exkursionen in Kasernen. In Hessen wird derzeit intern an einer ähnlichen Vereinbarung gearbeitet. Das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen verstärkt aktuell die Kooperation mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr, um das Angebot zur politischen Bildung an hessischen Schulen weiter auszubauen. Diese Zusammenarbeit ist Teil umfassender schulischer Maßnahmen, die auf Demokratiebildung, Extremismusprävention, Kompetenzförderung und Gewaltprävention abzielen. In den letzten Jahren haben acht von sechzehn Bundesländern Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr unterzeichnet, wodurch rund 400 haupt- und ehrenamtliche Jugendoffiziere als offizielle „Partner“ der politischen Bildung Zugang zu Schulen und Hochschulen erhalten haben. Wenn Jugendoffiziere Unterricht gestalten, besteht für die Schülerinnen und Schüler sogar grundsätzlich Anwesenheitspflicht.
Die Auftritt der Bundeswehr an Schulen ist umstritten
Laut Berichten regionaler Medien, hatte ein Jugendoffizier in einer anderen Kaserne vor begeisterten Achtklässlern aus Ostholstein stolz erklärt, während er das computeranimierte Schießkino vorführte: „Tausend Mal besser als die Spielkonsole zu Hause.“
Offiziell ist es den Jugendoffizieren untersagt, gezielt Nachwuchs zu werben, doch ihr Einsatz zeigt dennoch Wirkung – insbesondere auf Minderjährige. Dies hat in den letzten Jahren zunehmend Bedenken bei Eltern und Kinderschutzorganisationen geweckt, wodurch der Widerstand wächst. In vielen Bundesländern haben sich Netzwerke formiert, die sich gegen die zunehmende Militarisierung verschiedener Lebensbereiche, insbesondere in Schulen, stellen. Der Hauptvorstand der GEW hat bereits im März 2010 deutlich gegen den Einfluss der Bundeswehr auf Unterricht und Lehrerausbildung Stellung bezogen und betont, dass politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – ausschließlich in die Hände speziell ausgebildeter Lehrkräfte gehört.
Der in den Medien berichtete Fall mag zwar eine Ausnahme sein, wirft jedoch eine grundsätzliche Frage auf: In welchem Rahmen darf die Bundeswehr in Schulen präsent sein und dabei auch indirekt für sich werben?
Sicherheitspolitik aus militärischer Perspektive
Können Soldatinnen und Soldaten objektiv und ergebnisoffen über sicherheitspolitische Themen informieren und diskutieren? Organisationen der Friedensbewegung, die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie terre des hommes hegen daran Zweifel. Sie betrachten die Besuche von Bundeswehrangehörigen an Schulen als Werbung für den Dienst an der Waffe und befürchten neben einer psychischen Beeinflussung der Jugendlichen im Unterricht auch eine schleichende Militarisierung der Gesellschaft. Die Diskussion über Schulbesuche von Jugendoffizieren ist erneut aufgeflammt. Während das hessische Kultusministerium solche Besuche ausweiten möchte und Bayern beispielsweise eine stärkere Präsenz des Militärs an Schulen anstrebt, lehnt die Bildungsgewerkschaft GEW dies entschieden ab. Sie warnt davor, dass Minderjährige dadurch für den Wehrdienst rekrutiert werden könnten.
Bundeswehr integraler Bestandteil unserer Gesellschaft
Wir sind uns alle einig, Soldat zu sein ist kein Abenteuer. Es kann bedeuten, sich mit den Extremen von Tod und Gewalt auseinandersetzen zu müssen. Sollten wir deswegen nicht mehr Energie in die Förderung und Wiederherstellung des Friedens investiert werden, anstatt in Aufrüstung und die Rekrutierung von Soldat? Ein Wunschtraum.
Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht und damit auch der Zivildienst für junge Männer in Deutschland ausgesetzt, während sie für Frauen nie bestand. Damals war die Welt jedoch auch eine andere, als sie heute ist. Seither sinkt die Zahl der Soldat in der Bundeswehr. Die jungen Menschen heute stehen dem Thema distanziert bis ablehnend gegenüber und zeigen wenig Interesse an Kriegsbeteiligung oder dem Umgang mit Waffen. Eine breite Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft ist nicht mehr da.
Und während das Sondervermögen für die Bundewehr längst aufgebraucht ist, fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an dem Wille zur Abschreckung, dem konsequentes Handeln folgen muss. Das beginnt bei der politischen Führung, doch ohne die Unterstützung der Bevölkerung ist dies letztlich nicht umsetzbar. Die Gesellschaft muss den Willen zur Selbstbehauptung zeigen – und im Notfall auch bereit sein, zu den Waffen zu greifen. Eine Wehrpflicht ist dafür nicht zwingend erforderlich, wohl aber eine ausreichende Zahl an Soldaten schon. Dass es daran mangelt, spiegelt eine Gesellschaft wider, die Freiheit und Wohlstand als selbstverständlich ansieht.
Ist es ein Widerspruch, für Demokratie und Friedenspolitik zu werben und Kooperation von Schulen und Bundeswehr zu befürworten?
Nein. Politische Bildung ist heute wichtiger denn je und die innere und äußere Sicherheit die Grundlage jeden Staates. Angesichts des zunehmenden Drucks auf Demokratie und gesellschaftliche Werte weltweit ist es essenziell, Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, sich fundiert und kritisch mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Es geht nicht darum, jemanden zwangsweise zu einem sinnlosen Dienst für ein ungeliebtes System zu verpflichten, sondern darum, jede Person entsprechend ihrer Fähigkeiten so einzusetzen, dass ein freies und gutes Leben für alle erhalten bleibt. Eine Dienstpflicht aller für alle mit der Option zum Wehrdienst, wäre neben Diplopatie und Friedenssicherung ein geeignetes Mittel, eine demonstrative Verteidigungsbereitschaft der Gesellschaft zu erreichen und die Kriegsgefahr zu senken. Das Verhältnis von Freiwilligkeit und Pflicht sollte neu austariert werden.