Zeit mit Großeltern
Opi, wann hast Du endlich Zeit?!
Am letzten Wochenende war wieder einmal unsere Enkelin zu Besuch. Angerückt mit all dem, was ihr wichtig ist. Mit ihren zwei Meerschweinchen, ihrem Schmusetuch und ihrer Lieblings-Puppe. Und natürlich auch mit ihren Schulbüchern, weil das Lernen mit ihrer Omi einfach am meisten Spass macht und am meisten bringt. Nach einer kurzen Umarmung verschwand sie in „ihrem“ Zimmer und ich klimperte wieder an meinem PC.
Vielleicht nach einer Stunde steckte sie den Kopf ins Arbeitszimmer und fragte: Opi, wann bist Du endlich fertig? Wir haben schon gelernt, ich habe Willi und Lilli gefüttert und mir ist langweilig. Willst Du nicht mit Omi und mir eine Runde Mensch Ärgere Dich Nicht spielen? Ich schmeiss Dich auch dieses mal nicht so oft raus, wie das letzte mal, versprochen! Gleich, antwortete ich, ich komme gleich. Und hämmerte weiter in die Tasten des Computers und vergass wieder einmal die Zeit um mich.
Zeit, dachte ich mir. Ja, wir müssten mehr Zeit haben. Nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Menschen, die uns lieb und wichtig sind. Zeit ist schliesslich unser kostbarster Schatz, den wir nicht vermehren können und deswegen sorgsam mit ihm umgehen sollten. Aber wie am besten seine Zeit verbringen und wie diesen kostbaren „Schatz“ gerecht aufteilen? Da fiel mir die Empfehlung von Cicely Saunders ein, dass es nicht darum geht, „dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben“
Mit dieser starken Empfehlung könnten wir die ZEIT und das achtsame Umgehen mit ihr doch einfach auch wie folgt „buchstabieren“:
Zusammen
Eben nicht alleine im Arbeitszimmer, in der Küche, oder im Chefbüro. Sondern gemeinsam mit Menschen, die man mag, die einem wichtig sind, in deren Nähe man sich wohl fühlt. Und die einen brauchen. Gerade auch an Weihnachten, aber nicht nur. Wir reden ja gerne über „das Fest der Liebe“ und dass wir dieses Fest am liebsten im Kreise unserer Lieben feiern. Aber wenn es dann darum geht, wer dieses mal Uropa aus dem Pflegeheim zu sich nach Hause holt, oder wenn die Großtante zum Hundertsten mal die bekannten Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt, dann wird es schon schwieriger mit dem Fest der Liebe. Zusammensein kann manchmal schon anstrengend sein, keine Frage. Aber noch anstrengender, grausamer, ist das Alleine sein. Wenn man niemand mehr hat, der einem zuhört, niemanden, für den man noch wichtig ist. Oder niemanden, der einfach Danke dafür sagt, dass es einen gibt und der sich darüber freut, dass man einfach (noch) da ist. Und „Mensch Ärgere Dich Nicht“ kann man zwar auch alleine spielen, aber der Spass hält sich dabei in Grenzen.
Entspannt
Sie kennen das: Gerade vor Feiertagen bricht die große Hektik aus. Geschenke müssen noch gekauft, der Festtagsbraten vorbereitet, die Wohnung und das Auto vor der Tür auf Hochglanz poliert werden. Dann vielleicht noch ein Termin beim Friseur oder im Kosmetikstudio, man will ja schliesslich gut aussehen, wenn der Besuch kommt. Weihnachtsgrüsse dürfen nicht fehlen, im Büro warten die letzten Kundentermine, die mit guten Aufträgen vielleicht noch das ganze Jahr retten können. Der Weihnachtsbaum kommt auch nicht von alleine nach Hause, vom Schmücken ganz zu schweigen. Und dann ist Heiligabend, die Gäste treffen ein und selber ist man fix und fertig. Von Entspannung keine Spur, weil am nächsten Tag soll es ja schliesslich pünktlich zum Flughafen gehen, um sich von dem ganzen Stress zu erholen.
Wer sich in dieser „Weihnachtsgeschichte“ wiedererkennt, sollte kurz durchatmen und sich überlegen, ob hier vielleicht etwas schief gelaufen ist. Warum dieser ganze Stress? Warum sich all diesen Zwängen unterwerfen? Geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Ohne großartigen Festtagsbraten, ohne teure (aber belanglose) Geschenke und ohne „Gute Miene zum stressigen Spiel“? Oder gelingt es uns einfach nicht mehr, mit uns alleine zu sein und uns selbst zu ertragen? Oder noch schlimmer: Schaffen wir uns den ganzen Stress einfach nur deswegen, weil wir die Stille fürchten und das Gespräch mit anderen? Wenn dem so ist, dann wird es wirklich Zeit, um innezuhalten und die Uhr wieder auf „Null“ zu stellen. Einfach (wieder) entspannt und gelassen sein, nicht zwangsweise Dinge machen, nur weil es so „Brauch“ ist, aber der Brauch eigentlich sinnlos ist. Und sich auch ein bisschen um sich selber kümmern und frische Kräfte tanken. Der Alltag kommt sowieso wieder früh genug.
Interessiert
Meine Enkelin kann ihrer Omi alles erzählen, wirklich alles. Und sie natürlich auch alles fragen. Zum Beispiel warum die Jungs im Schulbus alle neben ihr sitzen möchten. Nur, um sie dann an ihren schönen, langen Haaren zu ziehen. Warum ihre beste Freundin darüber sauer ist, obwohl das Haareziehen ganz schön weh tut. Oder, ob es stimmt, dass man nicht auf die Strasse spucken soll, weil man sonst seinen Schutzengel treffen könnte. Natürlich auch, warum man diesen Engel nicht sieht, wo dieser wohnt und ob der nie schlafen muss. Omi hört sich das alles geduldig an, unterbricht selten, hält keine Vorträge, hat auf alles eine Antwort und meckert nicht an ihrer Enkelin rum. Nimmt sie einfach so, wie sie ist und lenkt sie mit sanfter Hand. Komischerweise gibt es dann auch keine Widerworte, wenn es am Abend heißt, ins´ Bad und anschließend in´s Bett zu gehen. Das Kind freut sich einfach, dass es jemanden zum Quatschen gefunden hat, der sich für sie Zeit nimmt und bei dem auch Geheimnisse über Jungs, Engel und Haareziehen gut aufgehoben sind.
Träume verwirklichen
Nicht das Leben verträumen, sondern seinen eigenen Traum leben. Ein kluger Mensch hat dazu einmal gesagt: Wir wissen zwar nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Aber was wir wissen, ist, dass es eines vor ihm gibt. Deswegen nutzen Sie die Zeit Ihres Lebens, um das zu tun, warum wir eigentlich auf der Welt sind. Um zu leben, unsere Talente zu entdecken, etwas aus diesen Talenten zu machen, etwas zu leisten, anderen Menschen eine Freude machen, abe auch Spass am eigenen Leben zu haben. Vielleicht hatten Sie ja schon das Erlebnis, von dem Sie im nachhinein sagten: Warum habe ich nur dieses Chance verpasst? Warum habe ich micht nicht getraut? Was hätte denn schief gehen sollen? Ja, was kann eigentlich schief gehen, wenn man neue Dinge ausprobiert? Ausser, dass man vielleicht mal scheitert und enttäuscht wird. Aber dann hat man es wenigstens probiert, hat dazu gelernt und macht sich später keine Vorwürfe wegen einer verpassten Chance.
Und so eine Chance sehe ich gerade vor mir. Weil ich es tatsächlich geschafft habe, mich von meinem Computer loszureissen, um mit meinen „Mädels“ zu spielen. Ich habe eine vier gewürfelt und kann nun entscheiden: Werfe ich den Kegel meiner Enkelin, die kurz vor ihrem „Haus“ steht. Und deren Augen anfangen, sich langsam mit Tränen zu füllen, weil sie erkannt hat, was ihrem Kegel droht. Oder ärgere ich ihre Omi, deren Kegel ebenfalls in meiner Reichweite ist. Wobei diese zu ärgern nie eine gute Idee ist, das weiss ich aus Erfahrung. Ich sitze quasi in der Falle, es wird Zeit, mich zu entscheiden. Gott sei Dank habe ich aber das alte Sprichwort „Spare in der Zeit, so hast Du in der Not“ berücksichtigt und schon einen dritten Kegel ins Spiel gebracht. Mit dem ziehe ich jetzt ins „Niemandsland“ und habe mich damit gerettet. Und auch zwei Menschen ein bisschen glücklich gemacht, zumindest bis zum nächsten Wurf…
Zum Autor:
Ernst Holzmann war als überzeugter Humanist in seinem „ersten Leben“ über dreißig Jahre lang bei verschiedenen Unternehmen in leitenden Positionen tätig. Jetzt agiert er als Redner über Führung und Strategie, Dozent an Hochschulen (Sportmanagement, Marketing, Kommunikation, Medien & Gesellschaft) und als Begleiter von Bildungsinitiativen für junge Menschen. Mehr auch unter www.ernstholzmann.com.