© Annette Riedl

Bildungskrise – Auch die Bildung braucht eine Zeitenwende

Wusstest Du, dass 50.000 junge Menschen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen? Wusstest Du, dass jetzt schon hunderttausende Erzieher und Kitaplätze und bis 2035 ca. 160.000 Lehrkräfte fehlen?

Warum ist Bildung wichtig?

Vorweg: weil sie uns dabei hilft, den Herausforderungen der komplexen Welt, in der wir leben, zu begegnen.

Stell dir vor, du hättest keine Möglichkeit gehabt, Bildung zu erhalten. In diesem Fall könntest du nicht einmal das technische Gerät nutzen, auf dem du gerade diesen Text liest. Lesen wäre für dich ein Fremdbegriff, und du würdest nicht einmal die Frage stellen können: „Warum ist Bildung wichtig?“

Bildung ist der Schlüssel zu persönlichem Wachstum, Erfolg und Glück

Mit Bildung an deiner Seite stehen dir unzählige Türen offen, sei es beim Bau deines Traumhauses, bei der Erziehung deiner Kinder, bei der Suche nach deiner persönlichen Vision, der Planung deiner Karriere oder bei deinem gesellschaftlichen Einfluss.

In unserer heutigen Gesellschaft, die von Komplexität und Digitalisierung geprägt ist und in Zeiten des Klimawandels existiert, ist ein gesellschaftliches Leben ohne Bildung schlichtweg undenkbar.

Bildung prägt unseren Blick auf die Welt, unsere Denkweise und unser Handeln. Ohne Bildung wären wir nicht in der Lage, uns in dieser komplexen und sich ständig wandelnden Gesellschaft zurechtzufinden und angemessen auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren.

Status Quo und die Statistik

Der Mangel an Lehrern sowie Erziehern erreicht ein beunruhigendes Ausmaß und verschärft sich kontinuierlich. Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung eines veralteten, unterfinanzierten und segregierten Bildungssystems, das soziale Ungerechtigkeit fördert.

In den Schulen wird deutlich, dass Bildung keine Priorität hat. Die Gebäude verfallen, die Klassen sind überfüllt, der Unterricht fällt aus – und die Kontrolle über Lehrer ist nahezu nicht vorhanden. Einige sind nachlässig, andere überfordert. Beide Situationen verschärfen die bestehenden Probleme.

Viele Tausend Kinder werden ihrer Chancen raubt, Beschäftigte in Kitas und Schulen weit über die Belastungsgrenze gebracht und Konflikte an den Familientisch ausgetragen.

Die Kultusministerkonferenz empfiehlt gestressten Lehrern Yoga-Kurse. Kein Scherz!

In Anbetracht „einer der schwersten Bildungskrisen seit Gründung der Bundesrepublik“ haben sich über 90 Gewerkschaften, Bildungsverbände, Eltern- und Schülervertretungen zusammengeschlossen, um spürbare Investitionen von Bund und Ländern in die Bildung zu fordern.

Warum haben wir eine Bildungskrise?

Große Unterschiede beim Bildungsstand der Gesamtbevölkerung

In den letzten zehn Jahren ist der Anteil der Bevölkerung mit einem akademischen oder einem höheren beruflichen Bildungsabschluss um 5 Prozent auf 26 Prozent gestiegen, während der Anteil gering qualifizierter Menschen von 24 Prozent auf 20 Prozent gesunken ist.

Andererseits haben Menschen mit Migrationshintergrund, die im Alter von 19 Jahren oder später zugewandert sind, häufiger keinen beruflichen Abschluss oder keine Hochschulreife (32 Prozent) im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund (8 Prozent). Dies deutet auf einen wachsenden Bedarf an Unterstützung in der Zukunft hin, da der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund insbesondere bei Kindern stark zunimmt und mittlerweile bei den unter 6-Jährigen gut 40 Prozent beträgt. Das Stadt-Land-Gefälle spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle für den Bildungsstand der Bevölkerung.

 

Familiäre Risikolagen beeinträchtigen den Bildungserfolg von Kindern

Aufgrund der nach wie vor hohen Abhängigkeit des Bildungserfolgs in Deutschland von der sozialen Herkunft und der zunehmenden Verstärkung dieser Tendenz haben Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien mit gering qualifizierten Eltern und niedrigem Einkommen deutlich geringere Chancen auf eine erfolgreiche Bildungslaufbahn im internationalen Vergleich.

 

Unzureichende Bildungsbeteiligung in den Kitas

Seit August 2013 besteht der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Kita oder Kindertagespflege ab dem ersten Lebensjahr, und seit 1996 gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für jedes Kind ab dem dritten Geburtstag.

Allerdings werden diese rechtlichen Ansprüche in der Praxis nur unzureichend erfüllt.

Der tatsächliche Bedarf der Eltern an Kitaplätzen liegt deutlich. Es zeigt sich, dass Kinder von Eltern mit höheren Bildungsabschlüssen die verschiedenen Angebote der Kindertagesbetreuung häufiger nutzen als Kinder von Eltern mit niedrigem Schulabschluss oder einem Migrationshintergrund.

Die Ergebnisse einer Studie zur Sprachkompetenz zeigen, dass ein frühzeitiger Kita-Besuch sich positiv auf die Sprachentwicklung auswirkt. Ein späterer oder fehlender Kita-Besuch hat insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund deutlich negative Auswirkungen auf ihre Sprachentwicklung. Viele dieser Kinder haben nicht die Möglichkeit, in einer Kita mit der deutschen Sprache in Kontakt zu kommen und werden ohne ausreichende deutsche Sprachkenntnisse eingeschult.

 

Rückgang von Kompetenzen in den nationalen und internationalen Schulleistungsuntersuchungen

Die Ergebnisse internationaler Schulleistungsstudien wie PISA, TIMSS und IGLU sowie des IQB-Bildungstrends zeigen, dass die positive Leistungsentwicklung deutscher Schulen seit PISA 2003 in den letzten Jahren stagniert.

Auch bei den internationalen Schulleistungsvergleichen im Primarbereich, IGLU und TIMSS, gab es bereits seit einiger Zeit einen Rückgang der Lesekompetenzen (seit 2011) sowie der mathematischen Kompetenzen (seit 2015). Der Anteil leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler stieg kontinuierlich an auf 19 Prozent im Lesen (2016) und 25 Prozent in Mathematik (2019).

Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 sind ebenfalls besorgniserregend, da die Kompetenzen in allen untersuchten Bereichen signifikant niedriger ausfielen als im Jahr 2016. Der Rückgang der Kompetenzen im Zuhören entspricht einem halben Schuljahr, im Lesen einem Drittel und in Mathematik sowie Orthografie einem Viertel eines Schuljahres.

Der Anteil der Kinder, die nicht einmal die Mindeststandards erreichen, liegt bei fast 19 Prozent im Lesen, gut 18 Prozent im Zuhören, etwa 30 Prozent in der Orthografie und fast 22 Prozent in Mathematik. Gleichzeitig nimmt die Kluft zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern immer weiter zu.

 

Wachsende Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler

Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends 2021 bestätigen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Lernerfolg der Kinder weiterhin stark ist. Bei dieser Entwicklung handelt sich um einen längerfristigen Trend.

Besonders deutlich ist der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Familien von Viertklässlerinnen und Viertklässlern und ihren Kompetenzen im Fach Deutsch, insbesondere im Bereich des Zuhörens. Aber auch in den Bereichen Lesen und Mathematik zeigen sich ähnlich starke Zusammenhänge. Diese Verbindung hat sich in Deutschland seit 2011 verstärkt und ist zwischen 2016 und 2021 nochmals deutlich gestiegen. Der sozioökonomische Status der Eltern spielt somit eine immer größere Rolle für den schulischen Erfolg der Kinder.

Die langfristige Abhängigkeit von der sozialen Herkunft zeigt sich auch in den erreichten Abschlüssen. Bei den 20-Jährigen erreichen 79 Prozent der Kinder aus Familien mit hohem sozioökonomischem Status die Hochschulreife, während es bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status nur 31 Prozent sind.

 

Wieder mehr Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss

Insgesamt ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss zu reduzieren.

Laut einer aktuellen Studie sind Jungen häufiger von diesem Problem betroffen (2020: 60 Prozent) als Mädchen. Ausländische Schülerinnen und Schüler sind dreimal häufiger betroffen.

 

Zuwanderungsbedingte Unterschiede nehmen deutlich zu

Laut dem IQB-Bildungstrend 2021 lag der Anteil von Kindern mit Zuwanderungshintergrund in den deutschen Grundschulen im Jahr 2021 bei 38 Prozent. Dieser Anteil ist seit 2011 um fast 14 Prozentpunkte gestiegen.

Kinder aus zugewanderten Familien erzielen durchschnittlich geringere Kompetenzen in allen Bereichen als Schülerinnen und Schüler ohne Zuwanderungshintergrund. Diese Unterschiede sind besonders ausgeprägt bei Kindern der ersten Generation, die mit ihren Eltern zugewandert sind. Der Kompetenznachteil im Vergleich zu Kindern ohne Zuwanderungshintergrund beträgt bundesweit 78 Punkte, was einem Lernzuwachs von über einem Schuljahr entspricht. Diese Unterschiede haben sich von 2011 bis 2016 und von 2016 bis 2021 weiter vergrößert.

 

Wachsender Bedarf an qualifiziertem Personal bei zurückgehendem Angebot

Die negativen Trends, die sich zeigen, sind unter anderem auf demografische Veränderungen zurückzuführen und spiegeln gesellschaftliche Entwicklungen wider. Kitas und Schulen benötigen mehr gut ausgebildetes Personal, um den wachsenden pädagogischen Herausforderungen gerecht zu werden.

Aktuelle Berechnungen zeigen jedoch, dass eine wachsende Kluft zwischen dem vorhandenen und zukünftigen Personalbedarf sowie dem verfügbaren Personalangebot in den Bereichen frühkindlicher und schulischer Bildung besteht. Es wird voraussichtlich zwischen 20.400 und 72.500 Fachkräften bis 2025 fehlen, und diese Lücke kann nicht allein durch Absolventinnen und Absolventen entsprechender Ausbildungsgänge geschlossen werden.

Der beschlossene Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot für Kinder im Grundschulalter ab dem Schuljahr 2026/27 führt zu einem steigenden Bedarf an zusätzlichen Plätzen von 500.000 bis 700.000 bis 2029/30.  Laut Modellrechnungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Lehrkräfteeinstellungsbedarf und – angebot wird Deutschland bis 2035 voraussichtlich nur über 32.500 Lehrkräfte nach Abschluss des Referendariats verfügen, während der durchschnittliche jährliche Bedarf ca. 34.100 allgemeinbildende und berufliche Lehrkräfte beträgt. Das bedeutet, dass bis zum Jahr 2035 insgesamt etwa 23.500 Lehrkräfte fehlen werden, wobei es zeitliche, regionale, schulart- und fachspezifische Unterschiede gibt. Die Bedarfsprognosen der KMK berücksichtigen nicht zusätzliche Lehrkräfte für geflüchtete Kinder aus der Ukraine, den weiteren Ausbau des Ganztagsangebots oder die verstärkte Umsetzung inklusiver Maßnahmen.

Darüber hinaus ergeben sich weitere Personalbedarfe aus dem Ausbau der Digitalisierung und der verstärkten Nachfrage nach multiprofessionellen Teams an Schulen. Wenn man auch diese Bedarfe berücksichtigt, erhöht sich der tatsächliche Lehrkräftemangel bis 2035 erheblich.

Es bleibt offen, ob es mit den pädagogischen Herausforderungen vereinbar ist und ob es angesichts einer wachsenden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gelingen wird, dieses Defizit durch Quer- oder Seiteneinstiege zu schließen, dessen Anteil sich seit 2015 mehr als verdoppelt hat. Jede zehnte der im Jahr 2020 neu eingestellten 34.500 Lehrkräfte hatte kein abgeschlossenes Lehramtsstudium.

 

Fazit:

Täglich werden in deutschen Schulen 10 Millionen Kinder und Jugendliche betreut.

Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt nicht nur von ihrer Verteidigungsfähigkeit ab, sondern vor allem von einem leistungsfähigen und gerechten Bildungssystem, das die Grundlagen für den sozialen Zusammenhalt in einer immer vielfältigeren Gesellschaft legt.

Um der Bildungskrise wirksam zu begegnen, ist ein gemeinsames Handeln von Bund und Ländern erforderlich.  Ziel sollte es sein, ein inklusives und sozial gerechtes Bildungssystem, das alle Kinder und Jugendliche individuell stärkt und ihnen eine echte Teilhabe ermöglicht. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es mutiger Konzepte, motivierter und gut ausgebildeter Fachkräfte, inklusiver Räume und ausreichender finanzieller Ressourcen. Ein großes Paket. Und ja, es ist notwendig.

Jede Gesellschaft und jedes System ist nur so gut wie ihre Schöpfer und Verantwortlichen….

Bildung ist daher nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Verantwortung. Sie ermöglicht uns nicht nur persönliches Wachstum, sondern auch eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und den Schutz unserer Umwelt. Es ist an uns, diese Bildung zu schätzen, zu fördern und immer weiterzuentwickeln, um eine bessere Zukunft für uns und kommende Generationen zu schaffen.