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Der Einfluss von Eltern auf die Berufswahl ihrer Kinder

„Jetzt beginnt der Ernst des Lebens…“: Diesen Satz haben wohl die meisten Erstklässler schon einmal gehört. Am Ende der Schulzeit stellen viele jedoch fest: Es geht noch ernster weiter – vor allem bei der Berufswahl.

Auf den Nachwuchs warten: 325 staatlich anerkannte duale Ausbildungsberufe, 130 schulische Ausbildungen an Berufsfachschulen sowie rund 11.500 grundständige Studiengänge. Einschließlich weiterführender Studiengänge sind es laut Hochschulkompass insgesamt mehr als 21.850.

Welcher Beruf passt zu mir?

Heute treffen Jugendliche ihre Berufswahl oft gemeinsam mit ihren Eltern, wobei sie von deren Vorstellungen beeinflusst werden, wie z.B. der Annahme, dass ein Uniabschluss zu höherem Verdienst führt.

Unser Sohn beschäftigte sich mit verschiedenen Berufsideen. In den Ferien jobbte er bei dem Bäcker um die Ecke und lernte die Zubereitung von Kaffee an speziellen Siebträgermaschinen und die Kunden freundlich und kompetent zu betreuen. Bei einem Termin im Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit füllte er einen Fragebogen aus. Er interessierte sich für Autos und für Menschen. Prompt schlug ihm der Algorithmus eine Ausbildung zum Tankwart vor. Das kam für ihn nicht infrage.

Wir halfen ihm ann, ein Schülerpraktikum in der Kanzlei eines befreundeten Anwalts zu bekommen. Am Küchentisch sprachen wir oft über den Beruf des Juristen, doch unser Sohn entschied sich für ein Elektrotechnik-Studium. Wir waren überrascht und konnten uns unter dem Fach anfangs wenig vorstellen. Doch als er nach dem Abschluss eine gut bezahlte Stelle bei einem globalen Unternehmen bekam, waren wir mit seiner Wahl zufrieden.

Welchen Einfluss haben Eltern auf die Berufswahl ihrer Kinder? Die Tochter unserer Freunde wollte Pferdepflegerin werden, der Sohn Spieleentwickler. Als Eltern können wir das zunächst akzeptieren und versuchen, in den nächsten Jahren dem Nachwuchs Einblicke in verschiedenen Berufe zu ermöglichen. Gibt es eine universelle Antwort für Eltern aus unterschiedlichen sozialen Schichten? Nein, aber: Eltern wollen, dass es ihren Kindern besser geht als ihnen. Für die meisten Eltern bedeutete das vor allem finanzielle Sicherheit, was für viele junge Menschen heute vielleicht nicht mehr so entscheidend ist.

Die Eltern entscheiden mit

Früher galt oft: „Solange du unter meinem Dach lebst, tust du, was ich sage.“ Eltern bestimmten, dass z.B. der älteste Sohn Jura studiert, um die Kanzlei zu übernehmen. Wer sich widersetzte, konnte die finanzielle Unterstützung verlieren. Heute ist das rechtlich nicht mehr möglich.
Während früher meist die Väter die berufliche Zukunft bestimmten, wollte die 68er-Generation sich bewusst abgrenzen.
Heutige Jugendliche haben dieses Bedürfnis weniger stark und suchen eher den Austausch mit den Eltern. Sie informieren sich oft selbst, etwa auf Social Media, Peer Groups, Freunden und Medien. Am Ende besprechen sie wichtige Entscheidungen dann aber gemeinsam mit den Eltern. Die Berufswahl ein vielschichtiger Prozess, der von zahlreichen inneren und äußeren Faktoren beeinflusst wird und sich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt.

Eltern beeinflussen ihre Kinder mit Klischees

Eltern, die bei der Berufswahl beraten, prägen ihre Kinder oft mit veralteten Vorstellungen. Akademiker-Eltern wünschen sich häufig, dass ihre Kinder ebenfalls studieren, da sie skeptisch gegenüber einer Ausbildung sind. Viele glauben, dass eine Ausbildung oft zu körperlich anstrengender Arbeit führt und raten zum Studium, weil es mehr Sicherheit und besseres Einkommen verspreche. Doch der Arbeitsalltag hat sich gewandelt, und auch mit einem Meisterabschluss kann man heute gut verdienen. 2023 war der beliebteste Ausbildungsberuf bei Frauen Kauffrau für Büromanagement, bei Männern Kraftfahrzeugmechatroniker. Geschlechterklischees beeinflussen Jugendliche weiterhin: Männer passen in die Werkstatt, Frauen ins Büro. Eltern tragen Mitverantwortung und sollten darauf achten, ihre Kinder nicht unbewusst in solche Rollen zu drängen. Deshalb sollten bei Berufsorientierungstagen auch Eltern stärker einbezogen werden, um ihr Verhalten zu reflektieren. Gleichzeitig müssen Jugendliche ermutigt werden, eigenständig ihre Berufswahl zu treffen.

Ein Freund von uns wuchs in einem Familienunternehmen auf. Seine Eltern führten eine Fleischerei mit Delikatessen, die – wie damals üblich – vom ältesten Sohn, seinem Bruder, übernommen wurde. Die Brüder planten, sich beruflich zu ergänzen: Einer machte eine Bäckerausbildung, um später eine Bäckerei neben der Metzgerei zu eröffnen. Die Eltern unterstützten diese Entscheidung. Doch dann entschied er sich um, machte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur und ging statt in die Backstube an die Hochschule.

Übergriffige Mütter und Väter gibt es noch

Ob die Tradition, dass das älteste Kind den Familienbetrieb übernimmt, noch existiert? Gelegentlich passiert dies noch in der Landwirtschaft oder im Handwerk, aber konkrete Statistiken dazu sind nicht bekannt. Auch die Regel, dass das älteste Kind „etwas Vernünftiges“ lernen oder studieren muss, während die jüngeren Geschwister freier sind, scheint weitgehend verschwunden zu sein.

Der Verband der Familienunternehmer vertritt etwa 180.000 Betriebe in Deutschland. Bei der Nachfolge spielt die Geschwisterreihenfolge keine Rolle mehr. In etwa der Hälfte der Fälle übernehmen Sohn oder Tochter das Unternehmen, manchmal aber auch andere Verwandte wie Nichten oder Neffen. Wichtig ist, dass die Person das Unternehmen weiterführen will und qualifiziert ist. Der Anteil der Unternehmerinnen ist seit den 1990er-Jahren stetig gestiegen, inzwischen führen rund ein Viertel der im Verband organisierten Betriebe Frauen – Tendenz steigend.

Mehr Freiheiten bei der Berufswahl

Jugendliche zu einer Ausbildung zu zwingen, ist nicht möglich. Doch manche Eltern üben Druck aus, indem sie ständig die vermeintlichen Vorteile eines Berufs betonen oder die Nachteile anderer anführen: „Weißt du nicht, wie hart Handwerker arbeiten?“ oder „Lehrer haben viel Freizeit und sind angesehen.“ Hat das Kind andere Stärken und Interessen als die Eltern, fällt es ihm oft schwerer, seinen eigenen Weg zu gehen.

Bei übergriffigen Eltern sollten Jugendliche klare Grenzen setzen und erklären, dass sie die Entscheidung nach ihren eigenen Stärken und Interessen treffen möchten. Mehr Freiheiten bei der beruflichen Orientierung sind grundsätzlich wünschenswert.

Computertests wie der der Arbeitsagentur, der ihm den Beruf des Tankwarts vorschlug, sind oft einfach falsch oder zu einseitig. Auch Internetplattformen fokussieren meist auf traditionelle Berufsbilder und das Angestelltendasein. Sinnvoller wären Tests, die die psychologischen Stärken der Jugendlichen erfassen, sodass sie darauf basierend ihre berufliche Richtung besser bestimmen können.

In drei Schritten zum Traumberuf

Zuerst sollte sich jeder die Frage stellen: „Was sind meine Stärken und Fähigkeiten, was kann ich wirklich gut?“ Dabei geht es nicht nur um schulische Noten. Im zweiten Schritt geht es um die Frage: „Was will ich eigentlich? Bin ich eher der unternehmerische Typ, der Theoretiker oder jemand mit handwerklichem Geschick? Schließlich der dritte Schritt: „Welche Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten passen zu meinen Vorstellungen – und welche Voraussetzungen muss ich dafür mitbringen?“

 

Fazit:

Eltern können die Interessen ihrer Kinder breit fördern und ihnen Einblicke in verschiedene Bereiche geben – auch außerhalb des eigenen Berufs oder des Bekanntenkreises. Gemeinsam könnten sie im Internet recherchieren oder Bücher über verschiedene Branchen lesen. Kinder können sich für Kurzpraktika bewerben, und Eltern sollten akzeptieren, dass die jungen Generationen oft andere Ansichten haben. Viele Berufseinsteiger haben gesehen, wie ihre Eltern sich überarbeitet haben, weshalb sie sich heute eine kürzere Arbeitswoche wünschen.