
Digitale Medien im Unterricht – Fluch oder Segen?
Meine Kinder verbringen Stunden vor ihrem Smartphone, in Social Media, beim Chatten oder beim Scrollen durch Newsfeeds. Vielleicht überlegen sie manchmal, ihre Bildschirmzeit zu reduzieren, doch schon der Gedanke daran, offline zu sein, löst Stress aus. Denn die digitale Welt bietet so unzählige Möglichkeiten: Wir können uns vernetzen, informieren und unterhalten…
Obwohl die Digitalisierung des Schulunterrichts in Deutschland in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, gibt es derzeit Tendenzen, diesen Prozess zu überdenken oder anzupassen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Im Augenblick gibt es jedoch noch keine einheitlichen Regelungen – jede Schule entscheidet selbst über den Umgang mit Smartphones und Smartwatches.
Lernhilfe oder Lernfalle?
Bildungsvergleichsstudien werfen Zweifel an der Effektivität digitaler Unterrichtsmedien auf. Ein wenig beachteter OECD-Bericht aus Mai 2024, basierend auf PISA-Daten, zeigt: Während der gezielte Einsatz digitaler Medien den Lernerfolg leicht fördern kann, ist ihr Ablenkungspotenzial erheblich. Besonders auffällig: Je intensiver Schüler digitale Geräte außerhalb des Unterrichts nutzen, desto schlechter schneiden sie ab. Fast könnte man meinen, die Bildungsprobleme ließen sich durch schlichtes Abschalten der Bildschirme lösen.
Digitale Endgeräte sind weder per se gut noch schlecht – ihre Lernwirksamkeit hängt vom gezielten Einsatz ab. Klar, die Zeiten haben sich geändert, aber die Entwicklungsschritte der Kinder nicht. Bei Kindern im Grundschulalter haben andere Sachen Vorrang, zum Beispiel Persönlichkeitsentwicklung. Forschung zeigt, dass Tablets Lehr- und Lernprozesse unterstützen können, insbesondere dort, wo analoge Medien keine Alternative bieten. Lernplattformen erleichtern Diagnostik und individuelle Förderung, und Medienkompetenz lässt sich nur durch praktische Anwendung vermitteln. Smartphones können zwar ebenfalls für Lernzwecke genutzt werden, doch in der Verbotsdebatte geht es um die negativen Auswirkungen exzessiver Nutzung, insbesondere durch übermäßigen Medienkonsum und virtuelle soziale Interaktionen. Diese können die Gesundheit belasten und den schulischen Bildungsauftrag beeinträchtigen.
Ab wann ist das erste Handy sinnvoll?
Pädagogische Fachleute empfehlen, dass der geeignete Zeitpunkt für die Anschaffung eines Smartphones dann erreicht ist, wenn das Kind über die nötige Reife für einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesem Gerät verfügt. Dabei sollten individuelle Faktoren wie der Schulweg, die Selbstständigkeit und die Medienkompetenz berücksichtigt werden. Zudem ist es wichtig, dass das Kind die Risiken des Internets versteht und weiß, wie es sich davor schützen kann. Diese Reife erreichen die meisten Kinder in der Regel im Alter von etwa 12 Jahren. Für jüngere Kinder kann ein einfaches „Notfallhandy“ nützlich sein, etwa für den Schulweg. Medienkompetenz sollte früh gefördert werden – doch das erste Handy hat im Klassenzimmer nichts zu suchen.
In solchen Fällen bleibt als letzte Konsequenz nur der Entzug der Geräte
Es ist unbestritten, dass Medienkonsum und digitale Kommunikation im Unterricht nichts zu suchen haben. Die Realität sieht jedoch anders aus: Da Filme und Musik während des Unterrichts schwer konsumierbar sind, nutzen Schüler ihre Handys vor allem für Spiele und soziale Medien wie WhatsApp, Instagram oder TikTok, um mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen erhält täglich über 200 Nachrichten – über 50 davon während der Schulzeit, wenn auch nicht immer direkt im Unterricht. Immerhin schaltet rund die Hälfte ihr Handy während der Stunde aus. Doch reicht das aus, oder ist ein generelles Verbot notwendig?
Wenn Kinder und Jugendliche nicht erkennen, dass unterrichtsfremdes Spielen den Lernprozess stört, bleibt als letzte Konsequenz nur der Entzug der Geräte – eine naheliegende Maßnahme. Wer das vermeiden möchte, kann auf andere erzieherische Mittel setzen, etwa Ermahnungen, schriftliche Verweise, temporären Unterrichtsausschluss oder Gespräche mit den Erziehungsberechtigten.
Menschen sind keine Multitasking-Wunder
Viele Handynutzer unterschätzen, wie sehr ihre Aufmerksamkeit leidet, wenn sie mehrere Dinge gleichzeitig tun – ein Irrglaube, der auf dem Mythos des Multitaskings beruht. Der Zürcher Neuropsychologe Lutz Jähnke bringt es auf den Punkt: Menschen sind schlicht nicht dafür gemacht, mehrere anspruchsvolle Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen. Social Media neben dem Unterricht zu nutzen, ist daher eine Illusion.
Ein weiteres Problem ist der Missbrauch digitaler Geräte zum Schummeln. Mit einer ChatGPT-Plus-Lizenz für 20 Dollar im Monat und einem schnellen Blick unter die Schulbank lassen sich mühelos Antworten auf jede Lehrerfrage abrufen.
In Ländern, in denen Handys grundsätzlich verboten sind, entfällt das Problem der unerlaubten Nutzung. In Australien hingegen dürfen Jugendliche ihre Geräte behalten, jedoch soll der Zugang zu Social Media für Unter-16-Jährige gesperrt werden. Die Verantwortung für die Umsetzung liegt bei den Plattformbetreibern, die gleichzeitig Maßnahmen gegen das Suchtpotenzial ergreifen sollen – eine Herausforderung, da ihr Geschäftsmodell auf Belohnung und Nutzerbindung basiert. Der US-Gesundheitsdienst forderte 2024 Warnhinweise, da soziale Medien psychische Schäden bei Jugendlichen verursachen können. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Trump-Administration diesen Vorschlag unterstützt.
Ohne Handy steigen das allgemeine Wohlbefinden und die sozialen Fähigkeiten
Schulen haben die Möglichkeit, die Nutzung von Handys auf dem Schulgelände zu untersagen. Studien zeigen, dass Smartphones ablenken, das soziale Miteinander beeinträchtigen und Mobbing begünstigen können. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für Suchtverhalten sowie psychische Probleme wie Angststörungen, Depressionen und Essstörungen, insbesondere bei Mädchen in der Pubertät.
Für leistungsschwächere Schüler kann ein Handyverbot zu besseren Lernerfolgen führen. Untersuchungen belegen zudem, dass eine Reduzierung virtueller Sozialkontakte das Wohlbefinden und soziale Verhalten positiv beeinflusst. Ein solches Verbot kann daher aus kinder- und jugendschutzrechtlicher Perspektive sinnvoll sein.
Allerdings sollten Schulen eine ausgewogene Lösung finden und die Schulgemeinschaft – einschließlich Schülervertretungen und Eltern – in den Entscheidungsprozess einbinden. Zentral geregelte Verbote können zwar Lehrkräfte entlasten, aber auch das Gefühl von Autonomie und Selbstbestimmung einschränken und in der Praxis schwerer durchzusetzen sein.
Sich selbst kritisch hinterfragen
Das zentrale Ziel der Schule ist der Unterricht – doch dieser läuft nicht immer reibungslos. Laut dem Schulbarometer der Bosch-Stiftung berichten vier von fünf Schülern von häufigen Unterrichtsstörungen, während zwei von fünf angeben, nicht ausreichend unterstützt zu werden. Diese beiden Aspekte sind entscheidend für die Unterrichtsqualität und sollten im Fokus stehen, anstatt Debatten über Verbote zu dominieren. Ohne eine gesellschaftliche Einigung führt die Diskussion über Medienkonsum außerhalb des Unterrichts nur zu Unsicherheit. Um erfolgreich zu lernen, müssen sich Schüler auf den Unterricht konzentrieren – und Handys haben darin keinen Platz.
Gleichzeitig sollten wir unser eigenes Verhalten reflektieren: Oft liegt das Handy während des gemeinsamen Abendessens neben dem Teller, und selbst im Bundestag sind viele Abgeordnete online, während ein Redner spricht. Der kanadische Psychologe Albert Bandura bewies bereits vor 60 Jahren, wie stark Menschen durch Vorbilder lernen – das Medienverhalten unserer Kinder ist ein klassisches Beispiel dafür.
FAZIT
Uneinheitliche Regelungen können Verwirrung und Ungerechtigkeiten verursachen. Ohne klare Leitlinien fehlt vielen Schulen die nötige Orientierung. Ein möglicher Kompromiss wäre eine bundesweite Mindestregelung, die grundlegende Prinzipien wie ein Handyverbot im Unterricht, aber eine erlaubte Nutzung in den Pausen festlegt. Gleichzeitig könnten Schulen weiterhin individuelle Anpassungen vornehmen.