Gesund ernähren – aber wie?

Haben Sie schon einmal versucht, einem Dreijährigen Salat zu verabreichen, wenn am Nachbartisch Pommes Frites gegessen werden? Gerade Eltern reiben sich oft auf im Versuch, ihre Kinder möglichst vollwertig zu füttern, gegen den hartnäckigen Widerstand des Nachwuchses. Ein Ringen, das Mahlzeiten in Familien zu Machtkämpfen ausarten lässt. Das dafür sorgt, dass viele Menschen ihr Leben lang Dinge essen, die sie eigentlich gar nicht mögen, weil sie sie für gesünder halten, gesünder als das, worauf sie eigentlich Lust hätten. Mit schlechtem Gewissen verdrücken wir eine Currywurst, überzeugt, dass wir uns mit jedem Bissen schaden. Wir verkneifen uns das knusprige Croissant mit Marmelade – Weißmehl! Fett!! Zucker!!! – und frühstücken stattdessen tapfer Müsli, weil das doch bestimmt viel besser für unser Wohlbefinden ist. Eine ganze Industrie hat sich darauf spezialisiert, uns sündhaft teure Speziallebensmittel zu verkaufen, die uns angeblich gesünder machen.

 

Das Märchen vom gesunden Essen

Meine Beschäftigung mit dem Thema gesunde Ernährung begann mit einem Rechercheauftrag: ich sollte für einen großen deutschen Sender einen Film über die gesündeste Ernährungsweise machen und dafür nach Lebensmitteln suchen, die etwas Besonderes können: Herzinfarkt verhindern, gegen Krebs vorbeugen, Diabetes vermeiden…

Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, im Großen und Ganzen zu wissen, was eine gesunde Ernährung ausmacht. Selbstverständlich musste mein damals neunjähriger Sohn jeden Tag fünf Portionen Obst und Gemüse verdrücken – Anlass zu ständigem Gezeter, weil er grundsätzlich schon mal nichts essen wollte, was grün ist… Fettarm ist besser als Fett, Vollkornbrot gesünder als Baguette. Salz schmeckt gut, darf aber nur ganz sparsam ans Essen, wegen Bluthochdruckgefahr. Und dann, natürlich, noch viel, viel Wasser trinken. Jetzt musste ich nur noch ein paar Super-Lebensmittel finden – Himbeeren gegen Schlaganfall? Broccoli gegen Darmkrebs? – und meine Geschichte würde stehen.

Zwei, drei Telefonate später waren alle diese Gewissheiten zunichte gemacht. Statt mit einer Liste von heilsbringenden Zutaten saß ich mit einer ganz neuen Frage da: gibt es DIE gesunde Ernährung womöglich gar nicht? Denn die Experten, die ich kontaktiert hatte – renommierte Ernährungsmediziner, Endokrinologen, Diabetes-Fachleute – sagten alle das Gleiche: es gibt keine per se ungesunde Ernährung. Was uns krank macht, ist die Menge. Wer dauerhaft zu viel isst, schadet seiner Gesundheit. Aber das, was wir essen, hat keinen wesentlichen Einfluss darauf, wie gesund wir sind.

 

 

Die zentralen Mythen – und was wirklich bewiesen ist

  • Die Angst vor dem Vitaminmangel
    Seit Jahren propagiert die Deutsche Gesellschaft für Ernährung die „Fünf-am-Tag“-Regel. Fünf faustgroße Portionen Obst und Gemüse sollen, zum Beispiel, vor Krebs schützen. Die EU wollte das in einer großangelegten Studie beweisen. Das Ergebnis, nach 8 Jahren mit einer halben Million Probanden: Es gab keinen Zusammenhang zwischen der Krebsrate und der verzehrten Obst- und Gemüsemenge.
    Tatsache ist, dass es keine gesicherten Erkenntnisse darüber gibt, welche Vitaminmenge wirklich nötig ist. Entsprechend weichen die empfohlenen Tagesmengen von Land zu Land extrem ab: So hält die britische Gesundheitsbehörde halb so viel Vitamin C für nötig, wie die DGE. Tatsache ist auch, dass es in unseren Breiten, bei unserem Nahrungsmittelangebot, fast nicht möglich ist, einen Mangel an den wichtigsten Vitaminen zu erleiden.
    Wenn Sie also halbwegs ausgewogen essen, bekommen Sie das, was Sie brauchen, ganz automatisch

 

  • Das böse Fett
    Jahrzehntelang galt fette Nahrung als Krankmacher Nummer eins. Bis heute rät die deutsche Gesellschaft für Ernährung zu Vorsicht bei tierischen Fetten und zu maximal zwei Eiern pro Woche. Dabei haben neuere Studien längst gezeigt, dass das Cholesterin im Blut und in der Nahrung nichts miteinander zu tun haben. Butter ist nicht ungesünder als Margarine, und die Geschichte, dass Eskimos weniger Herzinfarkte haben, wegen der Omega-3-Fettsäuren im Seefisch, beruhte auf falschen Daten.
    Durch fettarme Milch oder fettreduzierte Wurst sparen Sie in der Regel kaum Kalorien – aber der Geschmack geht flöten. Also keine Angst vor Fett. In Maßen genossen kein Problem!

 

  • Der Vollkornschwindel
    Es gibt keine einzige Studie, die wirklich schlüssig beweist, dass Vollkornbrot Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen verhindert. Und ein Blick über unsere Grenzen hinweg zeigt, wie unwahrscheinlich die segensreiche Wirkung der vollen Körner ist: Die Franzosen und Italiener, die überhaupt keine Vollkornprodukte essen, sind keineswegs kranker als wir. Also essen Sie ruhig Vollkornbrot, wenn es Ihnen schmeckt. Wenn Sie aber lieber Baguette mögen – auch gut!

 

  • Fastfood am Pranger
    Seit dem Doku-Schocker „Supersize me“ gelten Burger, Pommes und Co als beinahe tödlich. Dabei hat der Filmemacher vermutlich kräftig getrickst, um zu seinen spektakulären Ergebnissen zu kommen. Als ein schwedischer Forscher das Fastfood-Experiment unter wissenschaftlichen Bedingungen wiederholt hat, kam er zu ganz anderen Ergebnissen.
    Fastfood ist dann ein Problem, wenn Sie es als Snack essen, zusätzlich zu den normalen Mahlzeiten. Als Hauptmahlzeit ist ein Burger mit Pommes Frites ab und zu völlig in Ordnung.

 

 

Plädoyer für mehr Gelassenheit

„Du bist, was Du isst!“ – dieser Satz stimmt auf philosophischer Ebene. Wer kein Fleisch aus Massentierhaltung isst, kann sich über ein besseres Gewissen freuen, weil für ihn keine Tiere leiden. Wer sich Pommes Frites verkneift, und stattdessen Pellkartoffeln auf seinen Teller lädt, hat Kalorien eingespart. Wer regional und saisonal einkauft, tut etwas Gutes für die Ökobilanz. Wer auch noch zu biologisch angebautem Gemüse greift, unterstützt zudem eine nachhaltigere Form der Landwirtschaft. Aber wirklich gesünder ist all das nicht unbedingt.

Wir Menschen leben deshalb seit Jahrtausenden überall auf der Erde, weil unser Stoffwechsel mit den unterschiedlichsten Ernährungsweisen zurechtkommt. Wer gesund ist, kann sich nicht noch gesünder essen. Der Stress rund um die Mahlzeiten macht im Zweifel kranker, als die Mahlzeit selbst. Essen sollte immer etwas mit Lust zu tun haben – also genießen Sie das, was Sie gerne mögen. Ohne Stress und ohne Angst.

 

Mehr Informationen:

„Aber bitte mit Butter. Warum Brot nicht dumm und Fett nicht krank macht“
Herder Verlag, 19,99 €

Zur Autorin:
Katarina Schickling wurde 1967 in Stuttgart geboren. Sie arbeitet seit über 20 Jahren als Fernsehjournalistin und Dokumentarfilmerin und beschäftigt sich schon lange kritisch mit der Lebensmittelindustrie und mit Mythen rund um das Thema „Gesunde Ernährung“. Die Mutter eines 16-jährigen Sohnes ist Redaktionsleiterin der ARD-Reihe „Lebensmittelcheck mit Tim Mälzer“ und lebt in München. Ihr Sachbuch zu gängigen Ernährungsirrtümern ist im Herder Verlag erschienen.