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Haben Sie auch ein Kind in der Pubertät?

Wir haben gleich zwei! Unsere Pubertiere durchlaufen eine Phase intensiver Veränderungen, die sich auch in ihrem Verhalten widerspiegelt. Oftmals handeln sie impulsiver, irrationaler und sind risikobereiter. Die Familienregeln werden gelegentlich ignoriert, was uns mitunter vor große Herausforderungen stellt und mitunter zur Verzweiflung bringt.

Die Pubertät – Letzte gewaltiger Umbauprozess des Gehirns

Die Pubertät markiert den beeindruckendsten Umgestaltungsprozess des Gehirns nach dem zweiten Lebensjahr und zugleich den letzten. Während dieser Phase werden etwa 60 bis 70 Prozent der bestehenden Nervenverbindungen im Gehirn abgetrennt – ein Prozess, der als „Pruning“ bezeichnet wird, ähnlich dem Herunterschneiden von Bäumen durch einen Gärtner. Anschließend setzt lediglich der Alterungsprozess ein.

Neue Triebe und Verbindungen im Gehirn

Ähnlich wie bei Bäumen entstehen im jugendlichen Gehirn nach dem „Herunterschneiden“ kontinuierlich neue Triebe und Verbindungen. Doch besonders in den ersten zehn bis elf Lebensjahren sind diese Neubildungen zahlreich. Während der Pubertät, wenn etwa zwei Drittel dieser Verbindungen gekappt werden, stärkt dies gleichzeitig andere Verbindungen enorm. Dadurch wird das Gehirn immer effizienter: Die kleinen Landstraßen werden abgebaut und stattdessen große Autobahnen angelegt.

Weniger Vernunft – Mehr Irrationalität und Risikobereitschaft

Gelegentlich unternehmen Jugendliche – oft in der Gruppe – recht unüberlegte Handlungen: Sie entfernen Baustellenschilder in der Nacht, pflücken Blumen in öffentlichen Parkanlagen, trinken Alkohol oder probieren Drogen aus.

Die Reife der Vernunft erfolgt schrittweise, wobei die mittlere Pubertät, etwa zwischen 14 und 17 Jahren, als die gefährlichste Phase gilt. Dies ist auf den unreifen Zustand des präfrontalen Cortex zurückzuführen, der ein Teil des Frontallappens unserer Großhirnrinde ist. Solange dieser Bereich noch nicht ausgereift ist, fehlt es an einer vollständigen kognitiven Kontrolle. Dadurch können Jugendliche ihr Verhalten noch nicht so gut steuern und zeigen in dieser Zeit eine besonders hohe Risikobereitschaft, insbesondere wenn sie in ihrer Peergroup sind. Allein würden sie diese riskanten Aktionen kaum durchführen. Dies liegt wiederum an den starken Emotionen, deren Kontrolle ebenfalls bis etwa zum 17. Lebensjahr noch nicht vollständig entwickelt ist.

Daher sind Impulsivität, Aggressivität und Zickigkeit für Pubertierende typisch. Ebenso wie die wechselnde Launenhaftigkeit und das intensiv schwankende Gefühlsleben zwischen Euphorie und Gefühl der Weltuntergangsstimmung. Sie zeigen oft eine Tendenz zur Provokation, sind vergesslich und können manchmal auch sehr schlampig werden. Ebenso ist bei vielen Jugendlichen eine deutliche Unfähigkeit zur Selbstkritik erkennbar.

Gestern noch Teddybären – heute geschminkt auf die Party

Die Pubertät setzt in der Regel zwischen zehn und zwölf Jahren ein, bei Jungen etwa sieben Monate später als bei Mädchen. Das Signal für diesen Übergang kommt vom Hormonapparat im Gehirn, genauer gesagt vom Hypothalamus, und dieser reagiert tatsächlich sehr schnell. Dies lässt sich gut anhand der Veränderungen im Schlafverhalten beobachten, ein Aspekt, der gut erforscht ist. Vor dem Einsetzen der Pubertät sind Kinder eher Frühaufsteher. Dann beginnen sie später aufzustehen und werden innerhalb von nur einem halben Jahr zu Langschläfern. Der Eindruck stimmt also: Was im Oktober noch totalen Spaß gemacht hat, gilt im Frühjahr schon als völliger Quatsch.

Wann legt sich das alles wieder?

Die Verfeinerung und Feinabstimmung des Gehirns dauert bis zum 25. oder 26. Lebensjahr an. Während dieser Phase ist das Gehirn auf seinem leistungsfähigsten Niveau. Allerdings findet der Hauptumbau des Gehirns bereits zwischen dem 13. und 17. Lebensjahr statt, und er ist genau rechtzeitig abgeschlossen, wenn der Schulabschluss oder die Oberstufe erreicht werden.

 

Wie gehen wir damit um als Eltern?

Bis zu diesem Zeitpunkt zeigt das pubertierende Kind gelegentlich respektloses Verhalten und neigt dazu, sich nicht an banale Regeln wie pünktliches Erscheinen zum Essen oder das gemeinsame Abräumen des Tisches zu halten. Die Wörter „Danke“ und „Bitte“ verschwinden oft aus seinem aktiven Wortschatz.

Ihr eigenes „Ich“-Selbst stärken

Während der Pubertät lernen Jugendliche, ihr eigenes „Ich“-Selbst zu stärken, und dies beinhaltet einen gewissen Grad an Widerstand und Reibung mit anderen.

Jeder von uns hat ein „Wir“-Selbst und ein „Ich“-Selbst. Das bedeutet, dass ich einerseits meine eigenen Interessen vertreten muss, mich aber andererseits auch sozial verhalten sollte. Die Balance zwischen diesen beiden Grundbedürfnissen ist wichtig. Anfangs sind kleine Kinder stark auf ihr „Wir“-Selbst ausgerichtet, das gemeinsame Miteinander steht im Vordergrund. In der Pubertät lernen Jugendliche dann, auch ihr „Ich“-Selbst zu stärken, und dazu gehört ein gewisser Widerstand und Konflikte mit anderen.

Regeln und Grundwerte vorher verankern

Als Erwachsener sollte man grundsätzlich erfreut sein, wenn sich Jugendliche im Alltag, nun ja, an einem reiben. Dabei ist eines wichtig: Die Pubertät kommt nicht unerwartet. Eltern sollten die neun bis zehn Jahre vorher nutzen, um bestimmte Regeln und Grundwerte wie Vertrauen, Verlässlichkeit und Höflichkeit zu verankern. So können diese Grundlagen in der Pubertät genutzt werden. Wenn man jedoch in den ersten elf Lebensjahren selbst ständig das Handy beim Essen checkt und sich nicht an bestimmte Regeln hält, aber dann plötzlich vom 13-Jährigen ein solches Verhalten einfordert, geht das meist schief.

Wie können Eltern mit dem Widerstand arbeiten?

Um die Ich-Entwicklung meines Pubertiers als Elternteil zu stärken, ist es wichtig, irgendwann in Verhandlungen zu treten. Das bedeutet, dass ich mit ihm oder ihr über Angelegenheiten wie Taschengeld oder das Abräumen des Tisches verhandle. Verhandeln bedeutet dabei, dass beide Seiten etwas geben und nehmen. Und falls es trotzdem nicht funktioniert, muss es Konsequenzen geben.

Die Art der Konsequenzen wird gemeinsam aus verhandelt, aber sie sollten etwas sein, woran das Herz des Jugendlichen hängt: beispielsweise die Zeit für Videospiel spielen, bestimmte Kleidungsstücke oder gemeinsame Unternehmungen mit Freunden. Wenn man sein Kind über viele Jahre kennt, weiß man bereits, was ihm wichtig ist. Das bildet die Grundlage für die Verhandlungen und den Einsatz von Verhandlungsmasse.

Nehmen wir als Beispiel die Regel für den 16-Jährigen: „Am Wochenende bist du nachts um eins zu Hause.“ Nun ist „nachts um eins“ schon eine Dreiviertelstunde vergangen, und als Mutter oder Vater macht man sich Sorgen. Wie geht man in solch einer Situation um?

Für solche Fälle sollte man bereits im Voraus eine Regel vereinbart haben, beispielsweise die Vereinbarung, rechtzeitig vor Ablauf der Frist eine Nachricht aufs Handy zu schicken. Falls diese Vereinbarung nicht eingehalten wird, sollte es eine weitere Regel für die Konsequenz geben, zum Beispiel: „Die nächsten drei Wochenenden bist du schon um 23 Uhr zu Hause.“ Es ist wichtig, diese Regeln im Voraus gemeinsam zu besprechen und zu üben. Schon der 13-Jährige sollte lernen, die Eltern kurz zu informieren, wenn sich Änderungen am Stundenplan oder an der Trainingszeit ergeben. Und als Eltern muss man selbst auch konsequent sein und sich an die vereinbarten Regeln halten.

Fällt es Eltern heute schwerer, Regeln aufzustellen?

Manche Eltern könnten Regeln als autoritär missverstehen. Es ist jedoch wichtig, dass sie erkennen, dass Kinder sich Regeln wünschen, weil diese Struktur geben und Struktur Sicherheit vermittelt – insbesondere in Phasen der Unsicherheit, und das Leben der Pubertierenden ist oft ziemlich verunsichernd. Sie erleben ständig Ereignisse, die sie nicht einordnen können, und das in einer beängstigenden Welt mit Kriegen und dem Klimawandel. Wenn sie dann auch noch das Verhalten der Eltern nicht verstehen können, fühlen sie sich zusätzlich aufgewühlt.

Falls Eltern der heutigen Generation, die etwa 30- bis 35-Jährigen, ein bisschen Scheu vor dem Begriff „Regeln“ haben, könnten sie es anders nennen, beispielsweise „Abmachungen“ oder „Deals“. Letztendlich geht es darum, strukturgebende Faktoren zu etablieren, die das Zusammenleben rhythmisieren, ritualisieren und dadurch den Stress reduzieren. Solche Maßnahmen sind entscheidend, um Jugendlichen während dieser turbulenten Lebensphase eine gewisse Stabilität und Orientierung zu geben.

Pubertierende bieten über Streit Beziehung an

In der Pubertät spielen Eltern eine wichtige Rolle, indem sie den Jugendlichen ermöglichen, sich von ihnen abzugrenzen. Eltern werden für peinlich gehalten, für „cringe“ oder „lost“. Doch wie erträgt man diese Rolle und wie kann man sie bestmöglich ausfüllen?

Wir müssen dazu wissen, das das starke Gefühl der Fremdscham und manchmal unangemessene Äußerungen von Kritik zur Pubertät dazugehören. Wenn Worte fallen, die man nicht gerne hört, sollte man sich einen Moment sammeln und zum Beispiel sagen: „Okay, du schämst dich, weil ich Bermudas trage. Aber ich darf so rumlaufen und du mit grünen Haaren. Wenn du lieber Abstand hältst, in Ordnung.“ Es ist wichtig, unangemessene Kritik nicht als persönliche Kränkung zu sehen, sondern als Teil dieses Pubertätsprozesses. Jugendliche geraten oft in Streit, weil sie ihre Gefühle noch nicht so gut kontrollieren können.

Streit und Auseinandersetzungen sind oft sogar ein Beziehungsangebot, durch das Jugendliche ihre eigene Identität herausfinden.

Indem man als Elternteil offen für Kommunikation bleibt und Verständnis zeigt, kann man die Beziehung zu den Jugendlichen aufrechterhalten und ihre Bedürfnisse respektieren. Es ist ein ständiges Abwägen zwischen klaren Grenzen setzen und zugleich Freiheit gewähren, um ihre Individualität zu entfalten. Man sollte sich bewusst machen, dass diese Zeit auch eine Chance für beide Seiten ist, enger zusammenzuwachsen und die Herausforderungen gemeinsam zu meistern.

Jugendliche Prio-Listen

Während der Pubertät kann die Schule auf der Prioritätenliste der Jugendlichen oft weit nach hinten rücken. Das mag aus neurologischer Sicht verständlich sein, aber gleichzeitig ist es auch nachvollziehbar, dass viele Eltern besorgt sind, dass die Schule zu stark vernachlässigt wird.

Eine sinnvolle Haltung von Eltern ist: Ich bleibe wachsam, mache mir aber vorerst keine Sorgen. Wenn sich der Jugendliche nicht mehr für den Französischunterricht interessiert, ist das zunächst nicht besorgniserregend. Auch wenn die Noten in einem Fach etwas nachlassen, sollte man nicht gleich in Panik geraten. Im Durchschnitt sind die Noten und Zeugnisse in der achten oder neunten Klasse bei vielen Schülern am schwächsten. Das Wichtigste ist, den Kindern schon vor der Pubertät zu erklären, dass Noten nichts mit dem Wert eines Menschen zu tun haben. Es ist entscheidend, ihnen zu vermitteln, dass ihre Leistungen nicht ihre persönliche Bedeutung oder ihr Selbstwertgefühl definieren. Stattdessen sollte der Fokus darauf liegen, dass sie sich persönlich weiterentwickeln, Interessen entdecken und ihr volles Potenzial entfalten können.

Alarmsignale in der Pubertät

Schwere Leistungseinbrüche, Ängstlichkeit, unerklärbarer sozialer Rückzug und Schlafprobleme sind wichtige Alarmsignale in der Pubertät. Besonders der Schlaf ist ein guter Indikator dafür, dass etwas nicht stimmt. Sorgen, zum Beispiel aufgrund von Mobbing, können extremen Stress verursachen und dazu führen, dass Jugendliche schlecht schlafen.

Ein weiterer Indikator ist die Ängstlichkeit, da normalerweise Kinder nur bis zum zwölften Lebensjahr ängstlich sind, was evolutionär bedingt ist, da nur die Angsthasen überlebt haben. Danach sollte die Ängstlichkeit bis zum 17. Lebensjahr langsam abnehmen. Wenn das Kind also gut schläft und die Ängstlichkeit nach zwölf Jahren nachlässt, können sich Eltern zurücklehnen und entspannen.

Negatives Feedback und konstruktive Kritik

Jugendliche lernen nicht wirklich rasch aus negativem Feedback. Zusätzlich dazu sind sie ohnehin schon sehr zerrissen. Sie stehen ständig im Vergleich mit ihrer Peergroup und haben das Gefühl, dass sie schlechter sind als andere. Erst ab etwa 16 oder 17 Jahren ist das Gehirn stabil genug, sodass Eltern mit konstruktiv-kritischen Anmerkungen mehr bewirken können. In diesem Alter lernen Jugendliche auch effizienter aus negativem Feedback.

Unsere Aufgabe als Eltern

Eltern sollten in der Zeit der Pubertät nicht ständig nach Schwächen zu suchen. Der Grundtenor sollte lieber sein: es ist richtig und gut, so wie du bist. Die Kreativität, die Fähigkeit, Grenzen zu überwinden, die Neugier, neue Dinge auszuprobieren und alternative Lösungen zu finden, kommt oft von Menschen im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren. Ihre frischen Ideen und ihr Mut, neue Wege zu gehen, könnten einen positiven Einfluss auf die Entwicklung unserer Gesellschaft haben und uns in vielerlei Hinsicht bereichern.

 

FAZIT: Erziehungsratgeber haben zwar Hochkonjunktur. Doch die richtigen Experten sind wir Eltern. Wir haben unsere Kinder schon ein Leben lang begleitet. Wir müssen nur lernen zu vertrauen und loszulassen. Dafür müssen sich beide – Kinder wie Eltern – verändern, möglichst, ohne dass das stabile und herzliche Band zwischen ihnen kaputtgeht.