Jugendliche – Von der Bildfläche verschwunden
In meinem letzten Schuljahr, dem Jahr vor meinem Abitur, dem Schuljahr 2020/21 habe ich vom Lehrer unbemerkt an vielleicht zehn oder zwölf Online-Unterrichtsstunden teilgenommen, wenn’s hochkommt – verteilt auf vier Prüfungsfächer. Mit dem Lehrer, der mich durch meine mündliche Abiturprüfung hätte begleiten und mich auf sie vorbereiten sollen, habe ich vor der Prüfung selbst nicht einmal gesprochen.
Die junge Generation als Corona Verlierer
Die Covid-19-Pandemie hat von uns allen Opfer verlangt, aber von keinem mehr als von der jüngeren Generation: Sie waren die Pandemiemaßnahmenversuchskaninchen. Mit Maske bei offenem Fenster in der schlecht geheizten Schule oder daheim beim Online-Unterricht, der auch nur da stattfinden konnte, wo es stabiles Internet gab. In ländlichen Gebieten hieß das oftmals, mit dem Laptop an der Straße hocken. Noch dramatischer wurde es in Haushalten mit mehreren Kindern, aber nur einem oder zwei Computern. Wenn dann noch die Eltern im Homeoffice waren, war das Homeschooling gar nicht mehr möglich. Gleichzeitig standen Minderjährige bei Impfungen und Schutzmaßnahmen hinten an. Wer keine Stimme bei der Wahl hat, hat keine Priorität, könnte man meinen, wenn man zynisch wäre.
Der Blicke auf die Psyche
Soziale Kontakte, die im Teenageralter so wichtig zur Persönlichkeitsbildung sind, waren untersagt. Wir sprechen hier – das sei am Rande mal bemerkt – im Übrigen von der gleichen Generation, für die viele Erwachsene ihrerseits nicht bereit sind, Verzicht zu üben, um ihnen einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen. Dabei stieg die Zahl psychisch kranker Jugendlicher in den letzten zwanzig Jahren ohnehin schon stetig und fast schon explosionsartig an.
Die Gründe? Leistungsdruck, Perspektivlosigkeit, Isolation. All das sind Faktoren, die durch Corona noch einmal verschärft wurden. Direkte Kontakte mit Gleichaltrigen gab es kaum. Long-Lockdown stellt sich am Ende als folgenschwerer heraus als Long-Covid.
Bewerbermangel in allen Bereichen
Die Folgen von Lockdown und Distanzunterricht sind statistisch belegbar: Mehrere Tausend Jugendliche beendeten während der Pandemie die Schule, vielleicht auch noch die Ausbildung und verschwanden danach aus jeglicher Statistik. 40 % der Ausbildungsstellen blieben unbesetzt, Studentenzahlen stagnierten. Ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Jahr im Ausland wurden durch Corona auch unmöglich, wenn denn die Psyche das überhaupt mitgemacht hätte. Nicht berufstätig, nicht studierend. Ein Status, der in unserer Bürokratie im Grunde nicht vorgesehen ist, aber nun nicht mehr nur einen kleinen Teil der Heranwachsenden betrifft, sondern rund 200.000 Menschen zwischen 15 und 19. Ein Teil davon wäre als arbeitsunfähig einzustufen, psychisch so beeinträchtigt, dass sie nicht mehr als drei Stunden am Tag leistungsfähig sind. Und ja, schwere Depressionen können Menschen derart lähmen. Doch diesen Status der „Arbeitsunfähigkeit“ zu erhalten ist schwer, eine hilfreiche Therapiemöglichkeit zu finden und finanziert zu bekommen, noch schwerer. Therapieplätze sind selten, gute Therapeuten seltener.
Dann bleiben aber immer noch etliche Betroffene, die nicht direkt depressiv sind, sondern schlicht aus dem Trott der Pandemiejahre in eine Motivations- und Antriebslosigkeit geraten sind. Ohne feste Strukturen und Tagespläne versumpfen sie zwischen „GTA online“ und Netflix. Die sozialen Kontakte von früher sind versandet, ist es doch so schon für viele schwer genug gewesen, diese nach dem Abschluss aufrecht zu erhalten. Neue soziale Kontakte aufbauen, gestaltet sich als schwierig, wenn man im Isolationstrott festhängt. Wenn dann nicht einmal die Eltern ihre Kinder anspornen, motivieren oder salopp gesagt ein wenig „in den Arsch treten“, ändert sich an diesem Trott auch nichts, denn genau die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, lernen viele Schüler in den Abschlussjahren, wenn die Lehrer die Leistungsbereitschaft mehr und mehr in die Eigenverantwortung der Schüler legen.
Bei alledem haben wir ein Problem noch gar nicht adressiert: Der ewige Makel der Schulabschlüsse aus den Pandemiejahren. Denn bei vielen potenziellen Arbeitgebern herrscht ja der Glaube vor, dass nur wer physisch anwesend ist, auch wirklich arbeitet. Das weiß auch jeder Arbeitnehmer, der während der Pandemie ins Homeoffice wollte: Wer nicht präsent ist, ist nicht kontrollierbar oder gilt gleich als faul. Daraus resultiert Perspektivlosigkeit und auch die führt zu Antriebslosigkeit oder gar Depressionen. Und manche Jugendliche nehmen sich die Vorwürfe zu Herzen und entwickeln Minderwertigkeitsgefühle.
Fazit: Es muss was getan werden. Der Zugang zu Therapiemöglichkeiten und anderer Unterstützung muss verbessert werden. Die Kontaktaufnahme zu den Berufsberatungen der Arbeitsagenturen muss erleichtert werden. Überhaupt müssten die zuständigen Ämter der jungen Generation zugänglicher sein, womit wir wieder einmal bei der Digitalisierung wären. Ferner muss ein Umdenken eintreten. Zu sehr wird auf Jugendliche herabgesehen. Motivierend ist das nicht.