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Lernen ist mehr als Wissenstransfer

Lernen kann so viel Spaß machen UND Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern. Schon der Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela wusste um die besondere Bedeutung einer ausgereiften akademischen Erziehung für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen eines Staates. Gute Bildung für Alle ist ein essenzieller Baustein einer jeden Demokratie – was in der Theorie vernünftig klingt, ist in der praktischen Umsetzung oftmals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

Das deutsche Bildungssystem

Das deutsche Bildungssystem kämpft seit Jahrzehnten mit einer ganzen Reihe an Herausforderungen; die teils gravierenden inhaltlichen, strukturellen, methodischen und technischen Mängel kamen in der jüngeren Vergangenheit nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie noch einmal in aller Deutlichkeit zum Vorschein.

Sind die Schüler von der Politik vergessen worden in der Krise?

Versäumnisse der Bildungspolitik

In der Bundesregierung hatte die Frage von Kindern und Schulen in der Pandemie keine Priorität. Am Anfang wurde über Baumärkte und Fußballstadien gesprochen, aber eben nicht, was die Schließung von Schulen und Kitas mit Kindern und ihren Eltern macht.

Mit einer Mischung aus kleinteiligem Föderalismus, bizarrer Bürokratie, bockiger Ministerpräsidentenkonferenz, kaputtgesparter Infrastruktur, völlige Fehleinschätzung des Pandemieverlaufs, fehlender digitaler Ausstattungen wurden Milliarden in Wirtschaftsunternehmen gepumpt. Aber für die Schulen scheiterte der Einbau von Luftfiltern an Finanzierung und Zuständigkeiten. Bayern ist – neben Berlin – das einzige Bundesland in Deutschland, das bislang nennenswert Geld für Luftfilter in Bildungseinrichtungen ausgegeben hat.

Nach einer Metastudie von Forschern der Frankfurter Goethe-Uni mit Daten aus aller Welt haben die Schulschließungen im Frühjahr 2020 bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen zu ähnlichen Kompetenzverlusten geführt, wie sie durch den Unterrichtsausfall während der Sommerferien entstehen. Besonders groß waren die kognitiven Lernrückstände bei jüngeren Kindern und Schülern aus sozial benachteiligten Elternhäusern.

Alle zusammen fehlen einige Monate unbeschwerter Kindheit und der Mangel an sozialen Kontakten und Bewegung. Einige Kinder haben Ängste entwickelt, leiden an Vereinsamung, haben Stress mit den Eltern erlebt und ihr Konsum mit elektronischen Medien ist gewachsen.

Risikogruppen in den Schulen

Die Ergebnisse sind unterschiedlich und größtenteils ernüchternd – allen Anstrengungen der meisten Lehrer zum Trotz. Einzelne Schüler haben gute Lernbedingungen sowie elterliche Unterstützung genossen und dadurch einen regelrechten Sprung in der Leistungsentwicklung hingelegt. Knapp ein Viertel aller Schüler jedoch gibt Anlass zur Sorge. Sie erreichen schon zu normalen Bedingungen kaum die Ziele der Grundschule und sind so unzureichend auf die weiterführende Schule vorbereitet. Sie haben eine zu niedrige mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenz, ihnen fehlt die Sprachbildung in der Kita und das schulvorbereitende Lernen im Alltag.

Und es handelt sich hier keinesfalls nur um Kinder aus bildungsfernen Schichten oder mit Einwanderungsgeschichte, es sind auch wohlstandsverwahrloste Kinder mit Sprachdefiziten und Lernproblemen.

Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich während der ersten coronabedingten Schulschließungen noch weiter geöffnet.

Pädagogischer Blindflug

Schon zum zweiten Mal gehen Schüler und Lehrer mit großer Ungewissheit in die Ferien.

Lernstanderhebungen wurden in der Pandemie weitestgehend abgeschafft oder großzügig gehandhabt. Nur wenige Länder haben die nötigen Instrumente etabliert, die den Lernstand der Schüler nach den Sommerferien messen können. Es gibt keine einheitlichen Methoden, die systematisch erforschen, wo jeder Einzelne steht und wo Unterstützung nötig ist. Es bleibt zu befürchten, dass viele bedürftige Schüler unerkannt bleiben.

Der Bund hingegen macht das, was er immer macht: Geld in die Hand nehmen. Die Kultusministerien haben den Förderprogrammen schöne Namen gegeben wie ‚Löwenstark – Der BildungsKICK‘ in Hessen u.a. Es soll Sommerschulen oder in einigen Ländern zusätzliche Lehrkräfte geben. Experten fürchten aber das Gießkannen-Prinzip: überall ein bisschen, notdürftige Reparaturarbeiten, nichts nachhaltig. Fachleute halten das Aktionsprogramm der Regierung weder finanziell noch personell für ausreichend. Es bräuchte Lehramtsstudenten und pensionierte Lehrkräfte, um das Aufholprogramm zu stemmen.

Die „Aufholjagd“ kann nicht auch nicht beginnen, wenn ich nicht weiß, wo die Lücken sind und wer welche Förderung braucht.

Wichtig wäre es, zu einem späteren Zeitpunkt zu evaluieren, ob den Schülern das Aufholen des Stoffes gelungen ist. Nur wenn das Thema ernst genommen wird, können die Folgen , die sich aus dem Distanzunterricht ergeben haben, in einem Zeitraum von zwei Jahren beseitigt werden. Viel Allgemeines also und wenig Konkretes.

Sommerferien 2021

Die meisten eint inzwischen die Erkenntnis, dass der Erfolg von Wechsel- und Distanzunterricht endlich ist. Im Prinzip hing es von jeder einzelnen Schule ab, ob die Kinder im letzten Jahr etwas gelernt haben. Nicht selten von den einzelnen Lehrern.

Auch im zweiten Jahr der Pandemie hat das Kultusministerium Hessens es noch immer nicht geschafft, ein Konzept für den Distanzunterricht vorzulegen. In einigen Bundesländern soll die Testfrequenz an Schulen in den ersten beiden Wochen erhöht werden, andere besorgen kindertaugliche Masken. Die Technik für das Distanzlernen ist jetzt vielerorts da. Doch die Technik allein hilft nicht weiter. Was fehlt sind gute pädagogische Konzepte, denn sie erwecken einen ‚digitalen‘ Unterricht erst zum Leben!

Die Empfehlungen der Leopoldina

Weil nicht nur die Lernverluste, sondern auch die psychosozialen Folgen sowie körperlichen und seelischen Auswirkungen der Pandemie für Kinder und Jugendliche enorm sind, fordert die Nationalakademie Leopoldina, Schulen und Kitas unter Berücksichtigung geeigneter Schutzmaßnahmen offen zu halten. Denn der Präsenzbetrieb ist weiterhin die effektivste Form des Lernens.

Die Wissenschaftler aus Medizinern, Psychologen, Sozialwissenschaftlern und Bildungsforschern hält es für nötig, eine bewegungsfördernde Infrastruktur mit täglichen Bewegungsangeboten in Kitas und Schulen und umfassende Programme zur Förderung eines gesunden Lebensstils auszubauen.

Pädagogische Fachkräfte sollten über die frühen Warnzeichen auftretender psychischer Probleme sensibilisiert und die diagnostischen Fähigkeiten erheblich geschärft werden. Die Jugendhilfe und Schulsozialarbeit sollte ausgebaut und die Wartezeiten für Therapien psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters verkürzt werden.

 

Fazit: Angesichts der mächtigen finanziellen Mittel, die Deutschland im Zeichen der Pandemie aufgebracht hat, ist der Anteil für unsere Kinder, die in vielerlei Hinsicht besonders unter den Lockdowns und Schutzmaßnahmen gelitten haben, nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.

Und der Streit um den Schulbetrieb nach den Sommerferien geht weiter. Vor allem wächst die Sorge wegen der Ausbreitung der Delta-Variante. Wie wichtig der Präsenzunterricht für die Entwicklung der Kinder ist und ob die erschreckende Ergebnisse zur Wirksamkeit von Distanzlernen bei einer möglichen vierten Corona-Welle ab Herbst noch von Belang wären, bleibt abzuwarten.