Oh Tannenbaum, wir kommen …
Immerhin wird der Leichnam des frisch verstorbenen Bäumchens dann jedes Jahr liebevoll mit Kugeln und sonstigem Gedöns behängt. Wie meine belesenen Freunde wissen bin ich auch ohne Tannenbaum glücklich beziehungsweise glücklicher Waldspaziergänger unter glücklich lebenden Tannenbäumen.
Seit mein Sohnemann voriges Jahr in die Schule kam dachte ich mich vom Tannenbaum-Mord befreit, vorher wanderten wir mit den Windelzwergen zunächst an der Hand, dann auf der Schulter und zum Schluss genervt durch den Wald, töteten den Baum, packten ihn auf einen Handkarren und zogen wie Jäger nach der Wildschweinhatz singend wieder zurück.
Um dann Tage später bewundernd in der KiTa das Bäumchen anzuschauen, ach, war das nicht schön als wir uns das Wochenende um die Ohren gehauen haben um die Krüppelfichte von ihrer Existenz zu befreien…
Aber Pustekuchen… nicht nur dass meine tannenbaumtreueste Ehefrau von allen dem KiTa – Kult frönt, kein Wunder, ist ja auch Väter-Tag, sondern nachdem der beste Erzieher, den wir je kennengelernt haben, die KiTa leider verließ und ich dachte, jetzt ist der Kelch endlich an mir vorbei und sie kaufen genauso wie ich einen trockenen Stengel beim Baumarkt, aber nein, eine andere Gruppe wanderte jetzt los … natürlich die von meiner Kleinsten.
Puuuh …
Also wieder Sonntags früh raus, ich frage mich mal wieder ob ich überhaupt geschlafen habe, und Sohnemann mit achteinhalb Jahren muss mit, denn zu Hause ist sonst zur Zeit keiner der auf ihn aufpassen würde. Wir stehen auf dem Vätersammelplatz, von der Stimmung der früheren Jahre keine Spur mehr – tut mir ja leid wenn ich das jetzt mal so sage, aber früher, ja, da war alles besser, mit Gesang! – da die meisten Väter ähnlich häufig wie ich diesen Glücksspendenden Moment vor dem ersten Advent erlebt haben und die Euphorie schwindet … wir laufen los, eine neue Generation von Dreijährigen in Windeln wird hinterher geschleift, getragen und getröstet. Meine Kleinste marschiert tapfer vorne, klar erkennbar dass sie reif für die Schule ist … (haben die auch so eine Aktion? Panik …)
Sohnemann hängt an meiner Hand und hat keine Lust mehr …
Wir erreichen nach 45 Minuten den Tannenwald und stellen fest, dass wir keine Axt dabei haben … diverse Taschenmesser werden auf Tauglichkeit geprüft … ein Vater eilt zurück und die Axt taucht doch noch auf. Alle Kinder würden jetzt gerne nach Hause zurück, denn das Baummörderkommittee hat Kaffee für die Erwachsenen eingepackt aber keine Getränke für die Kinder. Ich hab auch nicht dran gedacht … pffff … ich tröste die durstigen Kinder und hoffe, dass wir jetzt endlich die Klinge in den Stamm hauen. Aber nein!
Der ist nicht hoch genug, der ist nicht breit genug, schau mal da fehlt auf einer Seite eine Nadel … unglaublich, wie degeneriert unsere Wohlstandsgesellschaft ist. Unser Baumarkt-Bäumchen als Kompromiss der „Sparsamkeit trifft Weihnachtsbaum“-Diskussionen hat jedes Jahr trockene, spitze Nadeln, piekst fies und verliert nach fünf Tagen seinen Glanz. Na und? Er ist bunt geschmückt und leuchtet.
Und hier stehen wir im Wald, kommen nicht vorwärts und die nächste Tannen-Gruppe wird anmarschiert. Bergauf, versteht sich.
Irgendwann der erlösende Ruf „der ist es!“ Für mich sieht er so aus wie der erste Baum unten am Weg, aber wen interessiert schon was ich sehe – wir hacken ihm das Leben ab und schleifen ihn unter Verlust der Hälfte seiner Schönheit bergab über Stock und Stein zum Handkarren am Weg. Hähääää …hätten wir mal den unten genommen, der sah schon vorher so aus und nach Charles Darwin war es ohnehin der Schwächere, und wir hätten jetzt schon zu Hause beim Kaffee sitzen können.
Aber … wir laufen nach Hause. Mittlerweile hat die Sonne den Nebel durchstoßen und wir laufen bei lauem Herbstwetter den Wanderweg zurück, etwas schneller als der Rest …
Und meine beiden Kleinen beginnen Weihnachtslieder zu singen …
Alle Strophen, alle Texte. Laut und falsch …
Bald ist es soweit, erster Advent … ich freu mich irgendwie drauf …
Und ja, in der Schule haben sie auch so eine Aktion … plus Weihnachtsmarkt-Basteln …
Aber das ist nächstes Jahr. Ich schicke meine Frau hin …