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Smartphone-basierte Kindheit

Ferien!? Und der Teenie verschmilzt mit dem Smartphone? Wir wünschen uns manchmal, Handys wären nie erfunden worden. Meine Kinder sind zwar körperlich anwesend, aber geistig oft weit weg.

Wettkämpfe sind bei den Bundesjugendspielen in der Grundschule abgeschafft, um den Druck auf die Schüler zu reduzieren – jetzt gibt es für alle Kinder Urkunden! Spielplatz-Wasserpumpen werden entfernt, um das Einklemmen von Fingern zu verhindern, Helmpflicht für Kinder, lange Autoschlangen vor den Grundschulen, um die Sicherheit auf dem Schulweg zu gewährleisten, Bäume werden speziell beschnitten, damit Kinder nicht hochklettern und sich verletzen können. Weitere Beispiele für Vorsichtsmaßnahmen sind: Nahrungsmittelverpackungen mit Hinweisen auf selbst geringste Spuren von Allergenen, umfangreiche Beipackzettel bei Medikamenten, und Warnungen vor Rücken- und Handgelenkschmerzen beim Kauf einer Computermaus, um unachtsame Körperhaltungen zu vermeiden. Um nur einige zu nennen.

Mehr körperliche und psychische Probleme

  • Kognitive und psychische Auswirkungen: Zu viel Zeit vor Bildschirmen kann zu Konzentrationsschwierigkeiten, verringerter Achtsamkeit und schlechteren schulischen Leistungen führen. Kinder und Jugendliche, die viel Zeit mit Smartphones verbringen, verpassen wichtige analoge Erfahrungen, die für ihre kognitive Entwicklung notwendig sind​ (Forschung und Wissen)​​ (ZDFmediathek)​.
  • Körperliche Probleme: Übermäßige Handynutzung kann zu körperlichen Beschwerden wie Nacken- und Rückenschmerzen, Augenproblemen (z.B. Kurzsichtigkeit) und Schlafstörungen führen. Der Bewegungsmangel, der oft mit langem Sitzen und dem Starren auf Bildschirme einhergeht, kann außerdem Übergewicht und andere gesundheitliche Probleme begünstigen​ (SpringerLink)​​ (wipub.net)​.
  • Emotionale und soziale Auswirkungen: Die Nutzung sozialer Medien kann das Risiko für Depressionen, Angstzustände und geringes Selbstwertgefühl erhöhen. Die ständige Verfügbarkeit und Nutzung von Smartphones kann zu einer Sucht führen, die insbesondere Kinder und Jugendliche betrifft. Diese Sucht wird durch Mechanismen wie zufällige Belohnungen und endloses Scrollen verstärkt, die ähnlich wie in Casinos wirken​ (Forschung und Wissen)​​ (wipub.net)​.
  • Vorbildfunktion der Eltern: Eltern spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation der Handynutzung ihrer Kinder. Oft sind sie jedoch selbst keine guten Vorbilder, da sie ebenfalls viel Zeit am Smartphone verbringen. Kinder, die zu Hause nicht lernen, das Handy beiseite zu legen, haben es auch in anderen Kontexten schwerer, auf die Nutzung zu verzichten (Forschung und Wissen)​​ (ZDFmediathek)​.

Können Smartphones nicht zumindest in Schulen verboten werden?

„Viele sind handysüchtig“, sagt unsere Schuldirektorin, „sie können gar nicht mehr ohne.“ Allein das Wissen, dass das Handy eingeschaltet im Ranzen oder in der Hosentasche steckt, lenkt die Schüler vom Unterricht ab. Auf vielen Schulhöfen, so berichten uns Lehrer, herrscht eine gespenstische Stille, weil die Schüler auf ihre Bildschirme starren, anstatt miteinander zu lachen, zu streiten oder Fußball zu spielen.

Menschliches Verhalten ist zu komplex und variabel, um wenige Verhaltensweisen dazu verwenden zu können, von der Gesundheit bis zur Lesekompetenz alles erklären zu können. Aber was, wenn sechs oder mehr Stunden tägliches Onlinesein das Gehirn falsch trainiert, gesunde Bewegung verhindert und die Fokussierung der Augen auf den anstrengenden Nahbereich konzentriert, was zum Bespiel allein der Schulpause den erholsamen Effekt rauben kann. Wenn es zudem die Gefahr psychischer Erkrankungen erhöhen könnte und junge Menschen in ihrer Potentialentfaltung behindert werden?

Wenn es um Produkte oder Dienstleistungen geht, die direkt auf unseren Körper angewendet oder konsumiert werden, sind die Vorschriften aus guten Gründen umfangreich. Doch die Nutzung von Smartphones, selbst im Kindergartenalter, unterliegt weder gesetzlichen noch strengen sozialen Regeln. So kämpfen jede Schule und jede Familie individuell darum, die Nutzung dieser digitalen Geräte so zu regulieren, dass sowohl Lernen als auch soziale Interaktionen gefördert werden können.

Die Kinder retten, bevor es zu spät ist

Besteht nicht Kinder- und Jugendschutz aber auch darin, auf Gefahren hinzuweisen, darauf vorzubereiten? Und ist dies nicht auch eine Aufgabe des Staates und von Bildungsinstitutionen?

Die Gehirne von Jugendlichen benötigen besonderen Schutz, denn während der Pubertät baut sich der Stirnlappen zu fast 40 Prozent um. Dieser vorderste Teil der Großhirnrinde ist entscheidend: für planerisches Denken, rationale Analysen, emotionale Kontrolle und das Erkennen von Gefühlen bei anderen. In dieser sensiblen Phase sind Jugendliche besonders anfällig für Drogen, und zwar in zweifacher Hinsicht: Sie sind leicht verführbar, weil sie Risiken eher suchen und langfristige Folgen weniger bedenken, und ihre Gehirne sind während des Umbaus besonders empfindlich. Viele beginnen in diesem Alter mit dem Rauchen. Wenn es um Alkohol oder Rauchen geht, fordert kaum jemand, dass Vierzehnjährige durch freies, selbstregulierendes Erfahrungslernen damit umgehen sollen.

Es ist fast unmöglich, Kinder zu einem bewussten Umgang mit den heutigen sozialen Medien und Computerspielen zu erziehen. Das geht nicht mit der heutigen Technologie. Plattformbetreiber und Gaminghersteller nutzen Mechanismen wie zufällige Belohnungen und endloses Scrolling, die Abhängigkeiten schaffen. Das ist wie ein Casino. Diese Techniken treffen auf Menschen, deren Gehirn noch unausgereift ist. Ein Zehnjähriger hat noch keine Impulskontrolle gegen Mechanismen, die auch bei Erwachsenen Abhängigkeiten schaffen. Eltern sind oft kein Vorbild, da sie selbst stundenlang vor den Kindern das Handy nutzen.

Internationale Debatten

Nun fordern die führenden Mediziner der Vereinigten Staaten, dass soziale Medien auf Smartphones und anderen elektronischen Geräten nur mit Warnhinweisen für Kinder und Jugendliche freigegeben werden. Die Schulverwaltung in Los Angeles hat bereits ein Handyverbot für alle Schulen und Bildungseinrichtungen beschlossen. Auch in anderen Teilen der Vereinigten Staaten müssen Schüler ihre Smartphones mittlerweile am Schuleingang abgeben, ähnlich wie Schusswaffen. Die Debatte in Amerika hat durch ein Buch des Sozialpsychologen Jonathan Haidt an Fahrt gewonnen. In diesem Buch beschreibt er eindringlich das Bild einer ganzen Generation, die ihren Smartphones hoffnungslos verfallen ist. Haidt, dessen Warnungen von einigen Forschern als übertrieben angesehen werden, fordert drastische Maßnahmen: ein Handyverbot an allen Schulen, Smartphones erst für Jugendliche ab 14 Jahren und soziale Medien erst ab 16 Jahren.

Ebenfalls bemerkenswert, dass in China der Staat die Nutzungsdauer von Computerspielen und Internetforen für Minderjährige stark einschränkt – in einem Land, in dem Anbieter erhebliche Gewinne daraus ziehen, dass Millionen von Menschen ihre Spiele und Social-Media-Apps intensiv nutzen. Tiktok ist nur ein prominentes Beispiel dafür. Selbst Schweden, das schultechnisch als digitales Vorzeigeland gilt, hat kürzlich eine Kehrtwende gemacht und die Nutzung digitaler Medien auf Schulhöfen und in Lehrplänen stark reduziert.

Auch in Europa haben einige Länder in den vergangenen Jahren Handyverbote an Schulen eingeführt oder verschärft, wie zum Beispiel Italien und Großbritannien. In Frankreich dürfen alle Schüler bis 15 Jahre weder im Unterricht noch auf dem Schulhof Handys benutzen. Schweden, das sich lange als Vorreiter in der digitalen Bildung sah und Tablets selbst für Kita-Kinder propagierte, hat eine Kehrtwende vollzogen und möchte die Bildschirme im Unterricht wieder zurückdrängen. Handys sollen dort bis zur neunten Klasse verboten werden. Auch in Schweden hatten Bildungsforscher Alarm geschlagen, da die Kinder abgelenkt waren und Leseverständnis sowie Wortschatz nachließen. Und kaum ein Land ist so digitalisiert wie Dänemark. Doch nun ruft die Regierung zum Kampf gegen soziale Netzwerke auf.

Und in Deutschland?

Gerade kämpfen wir in Deutschland darum, Behörden und Unternehmen digital in das 21. Jahrhundert zu überführen und gleichzeitig beginnen wir eine Debatte darüber, wo und wie in Kitas, Schulräumen und in Familien strengere Regeln vor allem für das Benutzen von Smartphones nötig sind.

In Deutschland wollen und können viele nicht so weit gehen wie anderswo in Europa.

Eigene Gesetze, Richtlinien und Rahmenbedingungen

Bildung ist Ländersache, und das gilt auch für den Umgang mit Handys. Eine Recherche hat ergeben, dass in allen 16 Bundesländern die Behörden den Schulen überlassen, ihre eigenen Regeln für die Handynutzung zu erstellen. Manche Schulen erlauben Handys in den Pausen und sogar im Unterricht, etwa um Themen wie rechte Propaganda auf TikTok zu behandeln. Andere Schulen verbieten Handys sowohl im Klassenzimmer als auch auf dem Schulhof. Wieder andere Schulen sammeln die Smartphones zu Beginn des Unterrichts ein und geben sie erst nach der Stunde zurück. Je besser die digitale Ausstattung einer Schule, desto strikter können private Handys verbannt werden. Da viele Schulen jedoch digital schlecht aufgestellt sind, müssen die Schüler oft ihre eigenen Geräte nutzen, um beispielsweise zu lernen, wie man Fake News erkennt.

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Für viele Forscher und Mediziner greift die Debatte ohnehin zu kurz. Er betont, dass die Eltern eine noch wichtigere Rolle spielen: Wer zu Hause gelernt hat, das Handy auch mal wegzulegen, kann in der Schule leichter darauf verzichten. Doch Mütter und Väter sind oft schlechte Vorbilder. Viele Eltern, die es aufregt, wenn ihre Kinder nur noch auf den Bildschirm starren, tun selbst in jeder freien Sekunde dasselbe und merken es nicht einmal. Manche kaufen ihrem Zweijährigen sogar eine Halterung für den Kinderwagen, damit das Tablet besser hält.

Es geht nicht nur darum, was Kinder selbst an direkter Bildschirmzeit haben, sondern auch darum, was die Familie um sie herum für ein Mediennutzungsverhalten an den Tag legt. Kinder imitieren das Onlineverhalten der Eltern.

 

Fazit:

Es ist unglaublich schwer, einen Rückzieher zu machen, wenn man einmal Computer und Programme gekauft, Lehrer in deren Nutzung geschult und ganze Schulsysteme in die Dienste kommerzieller Unternehmen integriert hat.

Wir können aber durchaus fortschrittlich sein und die Vorteile der digitalen Welt nutzen, während wir gleichzeitig eine smartphonefreie Zeit in Kitas und Grundschulen fordern. Stellen wir die Kinder in den Mittelpunkt, nicht die Technik, und setzen wir den Inhalt des Lernens über die Methode. Fördern wir die Freude an Bewegung und die Neugier, reale Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen und arbeiten an uns und unserem Verhalten. Es geht um unsere Kinder und Jugendlichen, die besonderen Schutz benötigen!