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Special: Soft Scill Fähigkeiten schon im Grundschulalter fördern

Wir brauchen unsere Kinder nicht zu erziehen. sie machen uns sowieso alles nach.
Ob Karl Valentin es sich da nicht vielleicht etwas zu einfach gemacht hat?

In der Grundschulklasse ‚Schulmäuse‘ meiner Tochter läuft nicht immer alles harmonisch ab. Die Kinder lernen zwar im Laufe der Zeit durch den täglichen sozialen Austausch, wie man Konflikte friedlich lösen kann. Die Lehrer beobachten dabei täglich, dass jedes Kind unterschiedliche Fähigkeiten in diesem Bereich mitbringt. Während das eine Kind selbstbewusst seinen Standpunkt vertritt, ohne dabei aggressiv zu werden, reicht bei einem anderen schon ein kleiner Auslöser, um einen heftigen Wutanfall hervorzurufen. Die Kinder werden aber immer öfter mit Defiziten bei sozialen, kommunikativen und emotionalen Kompetenzen aus den Familien in die Schulen entlassen. Respekt ist Mangelware, meinen viele Pädagogen aktuell. Und das nicht nur in der Schule, sondern in der gesamten Gesellschaft.

Schlüsselkompetenzen als Lebensvorbereitung und einen erfolgreichen Berufseinstieg

Wer heutzutage einen Job sucht, benötigt mehr als nur einen überzeugenden Lebenslauf. Viele Arbeitgeber legen Wert auf Fähigkeiten wie Empathie, Selbstreflexion, Neugier und idealerweise auch Kreativität und Charisma. Die Liste der sogenannten „Soft Skills“, sogenannte Schlüsselfunktionen, ist lang. Menschen, die diese Kompetenzen besitzen, verbessern nicht nur ihre beruflichen Chancen, sondern sind statistisch gesehen auch gesünder und verdienen im Durchschnitt mehr. Inwieweit sozio-emotionale Fähigkeiten im Erwachsenenalter ausgeprägt sind, wird größtenteils in der Kindheit geprägt – doch wann genau dieser Prozess beginnt, ist immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Erziehen bedeutet: Soziale Kompetenzen stärken

Ein Team von Wirtschaftswissenschaftlerinnen erforscht seit mehreren Jahren die Entwicklung sozialer Kompetenzen bei Kindern. Ausdauer, Empathie und Zielstrebigkeit lassen sich bei Kindern gut entwickeln. Erste Ergebnisse des Studienteils liegen nun vor: Diese zeigen, dass spezielle Programme für Schüler und Schülerinnen die sozio-emotionalen Fähigkeiten gezielt fördern können. Damit diese Programme erfolgreich sind, sollte jedoch bereits in den ersten Grundschuljahren damit begonnen werden.

Die Forscher begleiteten etwa 1600 Grundschulkinder und ihre Familien, die an einem Unterrichtsprogramm zur Förderung dieser Fähigkeiten teilnahmen. Eine ebenso große Vergleichsgruppe erhielt das Programm nicht. Besonders im Fokus standen drei zentrale Fähigkeiten: Selbstkontrolle, Geduld und Prosozialität – also das Verhalten, das darauf abzielt, das Wohl anderer zu fördern. Kinder, die diese Fähigkeiten entwickelten, agierten in Gruppen ruhiger, verfolgten langfristige Ziele und zeigten Mitgefühl. Um die Wirkung des Programms zu überprüfen, führten die Wissenschaftler Tests und Befragungen durch. Dabei stellten sie sich zwei zentrale Fragen: Hat das Programm einen positiven Effekt? Und falls ja, zu welchem Zeitpunkt entfaltet es seine größte Wirkung?

Das Fazit: Die Teilnahme führte bei den Kindern zu einer Verbesserung aller drei beobachteten Fähigkeiten, insbesondere bei der Selbstkontrolle und der Prosozialität. Während Prosozialität über die gesamte Grundschulzeit hinweg weiterentwickelt werden konnte, zeigte sich für die Selbstkontrolle ein ideales Entwicklungsfenster zwischen dem siebten und achten Lebensjahr. Hier kann das Bildungssystem gezielt ansetzen. Statt den Fokus auf Erwachsene zu legen, sollte die Aufmerksamkeit auf Kinder in diesem Alter gerichtet werden.

Lions Programm: Kinder optimal auf die Zukunft vorzubereiten

Das Programm ist Teil des Lions Club, einem globalen Netzwerk von Wohltätigkeitsorganisationen, und wurde von Fachleuten aus dem Bildungsbereich konzipiert. Unter dem Namen „Lions Quest“ verfolgt es das Ziel, Kinder „optimal auf die Zukunft vorzubereiten“, wie auf der zugehörigen Website beschrieben wird. Für die Studie ist es besonders geeignet, da es durchgängig vom Kindergarten bis zur achten Klasse dieselben Fähigkeiten fördert. Dadurch konnten Altersgruppen miteinander verglichen und besonders sensible Entwicklungsphasen ermittelt werden.

Lehrkräfte, die das Programm einsetzen, absolvieren zunächst eine spezielle Schulung. Im Anschluss erhalten sie Unterrichtsmaterialien, die ihnen dabei helfen, die sozio-emotionalen Fähigkeiten ihrer Schüler gezielt zu fördern. Jede Unterrichtseinheit dauert etwa 30 Minuten. Zu Beginn präsentiert die Lehrkraft eine alltägliche Situation, die emotionale Reaktionen hervorrufen soll – beispielsweise ein Bild eines gemobbten Kindes. Die Schüler berichten von ähnlichen Erlebnissen und diskutieren darüber, wie sie in solchen Situationen angemessen handeln könnten. Sie lernen, zunächst verschiedene Handlungsmöglichkeiten zu reflektieren, bevor sie eine Entscheidung treffen. Anschließend üben sie die erlernten Strategien durch Rollenspiele oder Gruppenaufgaben.

In Deutschland wird das Lions-Quest-Programm erst ab der Sekundarstufe angeboten, und die Schulungen für Lehrkräfte sind kostenpflichtig. Die Studie wurde daher in Bangladesch durchgeführt, wo auf bestehende Strukturen aus ähnlichen Erhebungen zurückgegriffen werden konnte und weniger bürokratische Hürden bestanden. Die Forscher sind zuversichtlich, dass sich ihre Ergebnisse auch auf Deutschland übertragen lassen, da sie mit Forschungsergebnissen aus westlichen Ländern übereinstimmen. Andere Studien haben ebenfalls gezeigt, dass Interventionen im Kindesalter die sozio-emotionalen Fähigkeiten deutlich stärken können.

Was bedeutet das nun für die Bildungspolitik?

Ab welchem Alter sollten Soft Skills vermittelt werden? Und liegt diese Verantwortung bei den Schulen? Bildungsexperten sind sich einig: So früh wie möglich. Zwar eignen sich Kinder viele Fähigkeiten durch Nachahmung, Mitmachen oder Medien auch außerhalb der Schule an. Doch nicht alles lässt sich auf diese Weise erlernen. Daher sollte neben der Vermittlung von Fachwissen auch die Förderung bestimmter Soft Skills wie Lernstrategien und Teamfähigkeit ein fester Bestandteil des Unterrichts sein.

Schon mit geringem Aufwand, wie einer halben Stunde Unterricht, kann eine große Wirkung erzielt werden. Denn Schüler unterscheiden sich nicht nur in ihren schulischen Leistungen je nach familiärem Hintergrund, sondern auch in ihrer Persönlichkeit. Eltern aus finanziell schwächeren Haushalten haben oft nicht die Ressourcen, um bestimmte Fähigkeiten ihrer Kinder zu fördern. Das Programm bietet einen Ansatz, um diese Ungleichheiten abzubauen. Die Schüler in Bangladesch lernten nicht nur, sozialer zu handeln und ihre Selbstkontrolle zu verbessern, sondern zeigten auch bessere schulische Leistungen. Dies ermittelten die Wissenschaftler anhand von Indizes, die sie durch Verhaltensexperimente mit den Kindern sowie Befragungen der Eltern entwickelten.

 

FAZIT
Ein vergleichbares Programm wäre auch für deutsche Grundschulen wünschenswert. Dafür müssten Experten die Inhalte an die hiesige Kultur anpassen, was zwar einen gewissen Aufwand erfordert, sich laut den Wissenschaftlern jedoch lohnen würde. Dabei sei es wichtig, nicht nur Schulen mit ohnehin bereits hohem Leistungsniveau zu berücksichtigen. In Bangladesch wurden die teilnehmenden Schulen zufällig ausgewählt. Das Forschungsteam plant, die Kinder über einen längeren Zeitraum zu begleiten und erhebt einen Datensatz, der sich über mehrere Jahre erstreckt, um langfristige Effekte beobachten zu können.