Trend: Vom Regulierungsbedarf zum Handyverbot
Wie ferngesteuert verbringen sie Stunden damit, auf ihren Smartphones zu wischen, zu scrollen und zu tippen…
Die Diskussion über ein mögliches Handyverbot in Schulen und Kitas bleibt ein kontroverses Thema. Obwohl Bund und Länder seit 2019 im Rahmen des inzwischen ausgelaufenen Digitalpakts Schule erheblich in die Digitalisierung von Bildungseinrichtungen investiert haben, zeigen aktuelle Ergebnisse, dass die digitalen Kompetenzen vieler Achtklässler in Deutschland im Vergleich zu vor zehn Jahren deutlich abgenommen haben. Viele Schüler beherrschen lediglich grundlegende Bedienungen wie Klicken und Wischen.
Lehrer, Erzieher und Psychologen äußern eindringliche Warnungen vor den negativen Auswirkungen sozialer Medien auf die kindliche Entwicklung und sprechen sich auch deshalb für ein Handyverbot in Schulen und Kitas aus. Ist das übertrieben?
Nein, denn immer mehr Länder ergreifen Maßnahmen, um die Handynutzung in Schulen einzuschränken. Viele Pädagogen und Eltern plädieren für klare Regeln im Umgang mit Smartphones und Smartwatches in Bildungseinrichtungen.
Irland und Australien
In Irland hat eine ganze Stadt getestet, welche Auswirkungen der freiwillige Verzicht auf Smartphones bis zur siebten Klasse hat. Die Ergebnisse zeigen positive Effekte auf das Wohlbefinden und das Sozialverhalten der Schüler. Studien belegen zudem, dass ein Handyverbot in Schulen den Lernerfolg steigern kann, insbesondere bei leistungsschwächeren Schülern. Darüber hinaus bewegen sich Kinder in den Pausen mehr, die soziale Interaktion nimmt zu, und Cybermobbing wird reduziert. Diese Entwicklungen liefern überzeugende Argumente dafür, Smartphones und andere Geräte aus Schulen und Kitas fernzuhalten.
Australien plant ein Social-Media-Verbot für Kinder unter 16 Jahren, mit Ausnahmen für Bildungsangebote und Messenger-Dienste wie WhatsApp und Facebook sowie YouTube. Laut Kommunikationsministerin Michelle Rowland beruht der Gesetzesvorschlag auf alarmierenden Erkenntnissen: Ein Drittel der 14- bis 17-Jährigen habe nachweislich schädliche oder traumatisierende Inhalte konsumiert, darunter Videos von tödlichen Unfällen, Suiziden und Gewaltverherrlichung. Kinder seien zudem auf sozialen Plattformen sexueller Belästigung ausgesetzt, litten unter starken Aufmerksamkeitsdefiziten und würden durch manipulierte Bilder, die sie bloßstellen, erpresst.
Die von wenig reflektierten Influencern verbreiteten Schönheitsideale und Verschwörungstheorien treffen auf eine ohnehin fragile Psyche und führen zu verzerrtem Selbstbild, Magersucht und Desinformation. Cybermobbing-Fälle endeten teils tragisch mit Suiziden. Unterrichtseinheiten zur Medienkompetenz könnten allein keinen ausreichenden Schutz bieten, so Rowland.
Auch in Deutschland wird intensiv darüber diskutiert, wie Kinder und Jugendliche in einer zunehmend digitalen Welt aufwachsen sollten.
Studien zeigen alarmierende Folgen
Die negativen Auswirkungen übermäßigen Handykonsums sind durch zahlreiche Studien gut belegt. Kinder- und Jugendpsychiater weisen darauf hin, dass persönliche Krisen junger Menschen oft im Zusammenhang mit der Nutzung sozialer Medien stehen. Plattformen wie TikTok und Instagram werden ein hohes Suchtpotenzial zugeschrieben, da sie gezielt darauf ausgelegt sind, Nutzer möglichst lange an die Geräte zu binden.
Darüber hinaus zeigen Studien Zusammenhänge zwischen intensivem Handykonsum und psychischen Belastungen wie Angststörungen, Depressionen und Essstörungen. Eine unkontrollierte Nutzung führt zudem zu Zielkonflikten im Alltag, beispielsweise beim Erledigen von Hausaufgaben oder in Bezug auf geregelte Schlafenszeiten.
Das Ende der Kindheit
Die Situation ist alarmierend: Viele Jugendliche verbringen stundenlang wie hypnotisiert mit Wischen, Scrollen und Tippen auf ihren Smartphones. Laut der aktuellen Postbank-Digitalstudie verbringen deutsche Jugendliche durchschnittlich 71 Stunden pro Woche im Internet. Davon entfallen lediglich vier Stunden auf bildungs- und schulbezogene Aktivitäten. Doch was passiert in den verbleibenden 67 Stunden?
Argumente gegen ein Handyverbot
Auch hier gibt es entschiedene Gegner eines Handyverbots. Sie verweisen auf die potenziell emanzipatorische Kraft sozialer Medien: Kinder, die im realen Leben keine Freunde finden, könnten über Social Media Gleichgesinnte oder Selbsthilfegruppen entdecken. Zudem bieten Plattformen wie TikTok oder YouTube nützliche Inhalte wie Bastelanleitungen oder Mathe-Tutorials.
Nikita White von Amnesty International, eine Gegnerin des Verbots, unterstreicht die Bedeutung eines „Gefühls der Zugehörigkeit“ und argumentiert, dass Kinder ein Recht darauf hätten, sich „online auszudrücken und Informationen zu suchen“. Doch warum sollte ein zehnjähriges Kind das Bedürfnis oder gar das Recht haben, sich in sozialen Medien auszudrücken?
Argumente für ein Handyverbot
Was die „Informationen“ betrifft: Australien verbietet weder Computer noch den Zugang zu Wikipedia oder die Nutzung von Suchmaschinen gemeinsam mit den Eltern. Es gibt also keinen Grund zur Sorge, dass australische Kinder plötzlich ihre Zeit mit dem Schnitzen von Holzfiguren verbringen, während Gleichaltrige in anderen Ländern durch die digitale Welt mit grenzenlosem Wissen versorgt werden.
Im übrigen können Lerninhalte genauso gut über die Accounts der Eltern zugänglich gemacht werden, sodass dies kein zwingendes Argument für Social-Media-Zugänge für Kinder unter 16 Jahren ist. Ebenso ist es fragwürdig, Kinder mit sozialen Problemen auf Internetplattformen zu verweisen, damit sie sich dort in einem Paralleluniversum aus Avataren und Gleichgesinnten verlieren. Ein solches Szenario ist kaum eine nachhaltige Lösung.
Schon Grundschüler sind in Chatgruppen aktiv – Mobbing inklusive. So tauschte eine Gruppe von zwölf Berliner Zehnjährigen an einem einzigen Nachmittag und bis tief in die Nacht rund 500 Nachrichten aus. Darunter fanden sich KI-generierte Reels von Krokodilen, süßen Katzen und sogar tödlichen Autounfällen. Das wird als „Teilhabe“ bezeichnet – aber woran genau? Wie eine Autorin der „taz“ treffend schrieb, empfinden viele Social-Media-Nutzer das Gefühl eines „Brain Rot“ – eines geistigen Verfalls, verursacht durch endlose Feeds und perfekt abgestimmte Algorithmen, die den Verstand langsam zersetzen.
Mehrheit für ein Handyverbot
In Deutschland befürwortet Umfragen zufolge eine große Mehrheit ein Social-Media-Verbot: 82 Prozent sind der Meinung, dass Medien einen negativen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben. Wäre ein Verbot umsetzbar? Gesichtserkennung und eine automatisierte Profilauswertung könnten bei der Durchsetzung helfen.
Viele Schulen haben in ihren Schulordnungen bereits Regelungen eingeführt, die einem Handyverbot nahekommen. Doch es ist bekannt, wie schwierig und zeitaufwendig die Durchsetzung solcher Regeln oft ist. Ein allgemeines, gesetzlich verankertes Handyverbot an Schulen und Kitas würde Lehrern und Erziehern ermöglichen, sich bei Konflikten mit uneinsichtigen Schülern oder Eltern auf klare gesetzliche Vorgaben zu berufen. Dies könnte so manche Diskussion vereinfachen oder ganz vermeiden.
Kultusministerien beraten
Nach dem Vorschlag des hessischen Kultusministers Armin Schwarz (CDU), die Handynutzung an Schulen einheitlich zu regeln – sei es auf Landes- oder Bundesebene –, hat sich die Kultusministerkonferenz kürzlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Schwarz strebt ein Smartphone-Verbot an Grundschulen an und fordert klare, altersgerechte Richtlinien für die Nutzung in der Sekundarstufe I und II. Auch in Kitas, insbesondere in solchen mit angeschlossenem Hort für Grundschulkinder, wird über den angemessenen Umgang mit Smartwatches, Smartphones und GPS-Trackern diskutiert, mit denen Eltern ihre Kinder orten können.
Leben, Realität und die Interessen der Konzerne
In Brüssel wird derzeit über die Festschreibung eines „Rechts auf analoges Leben“ diskutiert. Ist der immense Gruppendruck, den soziale Medien unter Kindern erzeugen, wirklich ein Argument dafür, sie frühzeitig in die digitale Welt einzuführen? Oder sollte daraus nicht vielmehr der Schluss gezogen werden, dass Staat, Schulen und Eltern umso entschlossener handeln müssen, um die damit verbundenen Gefahren abzuwenden?
Digitalkonzerne profitieren von dieser frühen Gewöhnung an ihre Plattformen und Technologien. Sie fördern eine Vernetzung, die suggeriert, dass eine Rückkehr ins prädigitale Zeitalter unmöglich sei. Doch allein die Existenz der digitalen Welt bedeutet nicht, dass man in jedem Alter und in jeder Form an ihr teilhaben muss. Ein bewusster und kontrollierter Umgang ist durchaus möglich – und notwendig.
Digitalkompetenz ohne Social Media
Kindern kann Digitalkompetenz vermittelt werden, ohne dass sie selbst aktiv in sozialen Medien vertreten sein müssen – ähnlich wie sie bereits früh über die Gefahren von Alkohol aufgeklärt werden, lange bevor sie ihn konsumieren dürfen.
Die Digitalkonzerne verfolgen jedoch ein anderes Ziel: Sie wollen ihre Produkte so tief in den Alltag, die Körper und die Psyche ihrer Nutzer integrieren, dass sie als untrennbarer Bestandteil des modernen Menschen erscheinen. Doch wenn die Zahlen der Postbank-Studie – durchschnittlich zehn Stunden Internetnutzung pro Tag – auch nur annähernd zutreffen, bleibt wenig Raum für Erfahrungen in einer Realität ohne permanente digitale Einbettung. Wenn Zehnjährige nicht lernen, dass ein echtes Gespräch mehr ist als ein Chat, ein Kompliment mehr als ein Like, Spielen sich vom Gaming unterscheidet und die Realität weit über die Summe aller Reels hinausgeht, könnten entscheidende Kindheitserfahrungen unwiederbringlich verloren gehen.
Überlegungen zur Social-Media-Nutzung unter Sechzehn
Stichhaltige Argumente für eine Social-Media-Präsenz von Kindern unter sechzehn sind abgesehen von der Feststellung, dass „es eben so ist“, nur schwer zu finden. Die Tatsache, dass Kinder trotz eines Verbots bei Freunden ins Netz gelangen könnten, taugt ebenso wenig als Gegenargument, wie die Möglichkeit, zu Hause Alkohol zu konsumieren, ein Alkoholverbot für Jugendliche infrage stellt.
Es führt kein Weg an der grundlegenden Diskussion vorbei, welche Werte und Erfahrungen eine gute Kindheit ausmachen und welche Gefahren ihr entgegenstehen – losgelöst von den Interessen der Plattformbetreiber.
Fazit
Ein Social-Media-Verbot für Kinder unter 16 Jahren und das Fernhalten solcher Geräte aus Lernorten wären ein klares politisches und pädagogisches Signal. Ziel sollte es sein, dass wir die Kontrolle über soziale Medien behalten – und nicht die sozialen Medien über unsere Kinder. Ein möglicher Ansatzpunkt im deutschen Recht ist der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Deutschland sollte sich nicht verschließen, sondern dieser internationalen Bewegung folgen.