Was ist zeitgemäßer Mathematikunterricht an den Schulen?
Wie oft habe ich mir diese Frage gestellt, während mir der kalte Schweiß beim Lösen von Trigonometrie-Aufgaben- oder Differentialgleichungen ausgebrochen ist: Wozu brauche ich das später überhaupt? Eine Frage, die sich wohl viele meiner Mitschüler früher oder später einmal gestellt haben, die nicht ganz so gut im wahrscheinlich unbeliebtesten Schulfach der Welt waren – der Mathematik.
Das Seerosen-Rätsel
Vor kurzem hat mich ein Freund mit einer Matheaufgabe auf die Probe gestellt: Die Seerosen in einem Teich verdoppeln ihre Fläche jeden Tag. Wenn der See nach 48 Tagen komplett mit Seerosen bedeckt ist, wie lange hat es gebraucht, bis er zur Hälfte bedeckt war?
Diese Aufgabe, die sehr einfach zu beantworten scheint, ist Teil des „Cognitive Reflection Test“ (CRT), der 2005 von Yale-Professor Shane Frederick. Wenn Sie nun direkt ’24 Tage‘ gedacht haben, dann sind auch Sie in die Falle getappt. Die Frage lässt Probanden schnell eine Entscheidung treffen, statt sie zunächst zu analysieren. Ein Problem, das spätestens seit der ersten PISA-Studie bekannt ist. Aus diesem Grund steht das Schulfach Mathematik in Deutschland immer wieder im Fokus der öffentlichen Diskussion.
Die aktuelle Lage
Die Ergebnisse der PISA-Studie lassen den Schluss zu, dass das Erkennen mathematischer Zusammenhänge für Schüler nicht so selbstverständlich ist, wie angenommen. Der Mathematikunterricht befindet sich an einem Tiefpunkt einer Talfahrt, die irgendwann in den 70er Jahren angefangen hat. In einem internationalen Vergleich sind die Deutschen gerade einmal im Mittelfeld zu finden, weit hinter Spitzenreitern wie Finnland oder Hongkong. Aber woran liegt das?
Ursachen
Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Bildung ist in Deutschland noch immer Ländersache. So kommt es, dass es bis heute kein einheitliches Bildungssystem gibt. Hinzu kommt die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre, wodurch der Unterrichtsstoff und die Anzahl der Stunden verringert wurden. Dadurch lernen Schüler lediglich genau vorgegebene Lösungswege, und bekommen keine Zeit mehr, selbst kreative Herangehensweisen zu finden. Aufgrund des Lehrermangels unterrichten fachfremde Lehrer an Grund- und Mittelschulen, sowie Quereinsteiger am Gymnasium und der Realschule. Diese Tatsache verdeutlicht die erheblichen Mängel bei der Ausbildung von Lehramtsstudenten an den Hochschulen. In keinem Studienfach brechen mehr Studenten ab als in Mathe. Hinzu kommt, dass Mathe ein wesentlicher Bestandteil vieler anderer Fächer wie BWL, Psychologie, Physik, Biologie usw. ist.
Folgen
All diese Probleme haben zur Folge, dass immer mehr Schüler zu Nachhilfe greifen müssen. Besonders beliebt bei Jugendlichen ist die Videoplattform Youtube. Als Star der Mathematikszene kristallisiert sich Daniel Jung heraus, der mit seinen Mathe Tutorials versucht, den Unterrichtsstoff anschaulich zu erklären. Aber auch Startups wie techeros, die Schülern rechnerisches Denken und weitere grundlegende Konzepte vermitteln, motivieren zum Mathe lernen und zeigen, dass das Fach auch Spaß machen kann. Doch wie lassen sich die Probleme lösen?
Lösungsvorschläge
Mittlerweile findet im Schulsystem ein Umdenken statt bezüglich der Inhalte und der Methodik des Mathematikunterrichts. Zeitgemäßer Unterricht bedeutet zunehmend eigenverantwortliches und selbstentdeckendes Lernen. Statt der Beherrschung von Rechenfertigkeiten rücken problemlösendes Denken, mathematisches Argumentieren oder mathematisches Modellieren in den Vordergrund.
Das Stichwort lautet hier kompetenzorientierter Mathematikunterricht.
Im kompetenzorientierten Unterrichten geht es darum, den Schülern Strategien und Problemlösefähigkeiten zu vermitteln, die auch in außerschulischen Situationen verwendet werden können.
Eine wesentliche Rolle spielt dabei die mathematische Modellierung: ein reales Problem wird in eine mathematische Situation umgewandelt, um rechnerisch eine Lösung zu erhalten. Die Lösung wird anschließend wieder auf die reale Ausgangssituation übertragen.
Alltagssituationen
„Wie viele Klavierstimmer gibt es in Chicago?“
Diese Art der Aufgaben geht auf den Italiener Enrico Fermi zurück. Er stellte Aufgaben, die mit den gelernten Rechenfertigkeiten nur bedingt zu lösen sind. Wichtig war ihm die Vorgehensweise, ein möglichst gutes Ergebnis zu finden. Ganz nach dem Motto: nicht das Ergebnis ist entscheidend, sondern der Weg ist das Ziel.
Im Alltag nutzen wir tatsächlich ständig Mathe. Ohne unsere Kenntnisse in Mathematik hätten wir Probleme beim Kochen, bei Handwerksarbeiten, beim Hauskauf, ja selbst beim Glücksspiel wie Pokern. Denn hier haben die Spieler, die besonderes gut im Kopfrechnen sind, die ‚besseren Karten‘. Oft sind wir uns dessen noch nicht einmal bewusst. Würden wir sie dagegen bewusst einsetzen und fördern, könnte uns dies das Leben etwas leichter machen.
Zeitgemäßer Matheunterricht sollte den Schülern Zeit geben, Regeln selbst zu entdecken und eigene Lösungswege zu finden. Auch Sie als Eltern können diesen Weg unterstützen, indem Sie die Mathematik in Ihren Alltag, z.B. beim Einkaufen im Supermarkt oder im Auto, anschaulich und lebendig einbinden.
Denn Mathe ist mehr als nur Rechnen und Formeln auswendig lernen, Mathe ist eine spannende und faszinierende Welt, die unseren Alltag begleitet und Spaß machen kann!